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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
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falsche Fährte locken könnte. Sicher, mit dem Bild, das Nora Schäfer-Scheunemann mir von sich und ihrem stillen Leben am Deisterhang gezeichnet hatte, schien dieses Getratsche wenig zu tun zu haben. Kasino, Rennplatz, Eröffnungen von Nachtlokalen, Vernissagen, Bälle, Theater, Tombolas, Soireen, na und? Die Frau war in dem Alter, in dem man noch mal zugreifen will. Ich konnte es ihr nachfühlen.
    Kleppinger mußte gespürt haben, daß ich davon nicht überzeugt war. Er stellte sich neben mich und tippte mit dem Zeigefinger auf Namen und Fotos.
    »Bekannter Zuhälter«, kommentierte er. »Zocker, zwei Vermögen verspielt. Mit einer Nachtklub-Kette Pleite gemacht. Läßt sich von einem Catch-Promoter aushalten. In eine Parteispendenaffäre verwickelt. Hat einen Stall Hühner in Frankfurt laufen. Hat sich nach Berlin abgesetzt, nachdem seine Bar abgebrannt ist.«
    »Nach Berlin? Wer ist das?«
    »Wenn’s da nicht steht, Harder, weiß ich’s auch nicht. Ich mach das Rathaus, nicht die Puffs. Wenn du bis morgen Zeit hast, kriegst du den Namen selbst raus.«
    Er stand schon vorm Eingang zum Zelt. Das Catchen lockte ihn mehr als eine Story, an die er nicht glaubte.
    »Otto«, sagte ich, »diese Sache ist mehr wert, als du ihr gibst. Im Film steckt Kohle, glaub mir. Und du kannst Sachen bringen, die du im Blatt nie bringen kannst.«
    »Scheiß aufs Blatt«, sagte er. »Weißt du, was ich nach all den Jahren netto nach Hause bringe? Und jetzt, wo das Kabelfernsehen kommt …«
    »Scheiß aufs Kabelfernsehen«, sagte ich. »Du mußt größer denken, Otto. Wo könnte Scheunemann stecken?«
    Er rieb seine lange, durstige Nase. »Ich hab was läuten gehört, daß sie ihn unter Verputz halten. Er säuft ihnen zu viel, verstehst du?«
    »Wo ist das, Otto?«
    »Eine Privatklinik. Kommst du nie rein, Harder. Keine Chance. Es sei denn, du treibst jemand auf, der ein Machtwort spricht.«
    Er sah auf die Uhr. Drinnen ging ein Höllenlärm los.
    »Wetten, daß Vladimir den Ringrichter ins Publikum geworfen hat? Das macht er immer, wenn der Job ihn anödet. Es ist zwanzig nach acht.«
    »Mit Machtwörtern kennt Vladimir sich eben aus«, sagte ich.
    »Laß uns mal abschwirren«, sagte Kleppinger und zog mich vom Eingang fort.
    »Wohin?«
    »Zu einem, der sich auch mit Machtwörtern auskennt.«

5
    Es war fünf Minuten nach neun, als wir den Mann aufstöberten, der sich auch mit Machtwörtern auskannte. Der Mann war um die Vierzig, steckte in einem Trainingsanzug, der mit Schweißflecken übersät war, und hing an der Sprossenwand eines Bräunungs- und Fitneß-Studios in der Nähe des Hauptbahnhofs, als Kleppinger den Inhaber und zwei Assistenten des Mannes davon überzeugt hatte, daß wir weder ein Attentat noch ein Interview vorhatten.
    »Aber Ihren Nikotinnuckel stecken Sie man weg, bevor Sie reinkommen«, sagte der Inhaber, und Kleppinger steckte wortlos die qualmende Pfeife in seine Manteltasche. Wenn die Zeit wirklich knapp war, konnte man sich auf Otto verlassen. Er brauchte höchstens eine Minute, bis der Mann, der sich mit Machtwörtern auskannte, sein Gesicht trocken gerieben hatte, und noch eine halbe, bis der Mann mein Gesicht ein für allemal in seinem Gedächtnis gespeichert hatte. Mit ihm konnte ich mir das ersparen; er war nicht in so kurzer Zeit nach oben gekommen, um sich schon bald wieder zu verabschieden. Schließlich winkte mich Kleppinger dazu. Die Assistenten, deren Trainingsanzüge so aussahen, als wären sie gerade frisch von der Reinigung gekommen, bezogen wieder Stellung an der Tür.
    »Ich höre, Sie müssen unbedingt mit Paul Scheunemann reden«, sagte der Mann, der sich mit Machtwörtern auskannte. Sein Atem ging immer noch stoßweise.
    »Das könnte ihm später eine Menge Schwierigkeiten ersparen.«
    »Gut. Schwierigkeiten hat er nämlich schon genug. Und die größte von ihnen ist, daß er krank ist. Sehr krank.«
    »Ich brauche wirklich nur ein paar Minuten mit ihm.«
    »Aber die sofort.«
    »Sofort ist immer besser«, sagte ich lächelnd, »in Ihrem Geschäft, und in meinem auch.«
    Er lächelte zurück. Wir hatten eine Gemeinsamkeit – ein Lächeln, das bei bestimmten Frauen gut ankam und bei deren Männern überhaupt nicht.
    »Was mein Geschäft ist, wissen Sie ja«, sagte er. »Und was ist Ihr Geschäft?«
    »Ich bin ein Ausputzer«, sagte ich.
    »Ausputzer«, wiederholte er lächelnd. Wenn er sich noch ein paar Pfund abtrainierte und zwei oder drei wirkliche Krisen durchstand, konnte er

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