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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
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einem großen, hageren, grauhaarigen Mann in einem schwarzen Anzug einen Orden verlieh. Daneben stand Frau Cäcilie Richter und sah mit einem Ausdruck von katzenhafter Zufriedenheit zu.
    »Das ist Dr. Myslisch, der Abgeordnete. Mein Mann war sein politischer Mentor.«
    »Ich wußte doch, daß ich das Gesicht kenne. Aus der Zeitung, selbstverständlich. Dann ist er also gewissermaßen ein Freund der Familie?«
    »Auf dem Foto sind zwei Freunde der Familie«, sagte Frau Richter, und daran schluckte ich noch, als die MS Kohlhase mich wieder auf die andere Seite des Sees gebracht hatte.

9
    Nachts ist die Kantstraße das Paradies der flüchtigen Träume. Dann bieten die bunten Lichter der türkischen Imbißstuben und ägyptischen Snackbars, der chinesischen und spanischen Restaurants, der Destillen und Neoncafés, der Diskotheken und Striptease-Schuppen genau die richtige Beleuchtung für die Geschichten, die nur die Großstadt erzählt – und sie auch nur noch mit heiserer Stimme und gespaltener Zunge. Nachts glaubt ein Mann, daß er in dieser Straße alles findet, was er zum Leben braucht; was es nicht für Geld gibt, kann er sich dazudenken, und wenn ihm an Gerechtigkeit liegt, dann trinkt er sich bis zum Charlottenburger Amtsgericht hoch und wartet, bis Justitia die Binde von den Augen fällt. Die Currywurst an der Bude gegenüber soll eine der besten in Berlin sein. Ich mag keine Currywurst.
    Am Tag ist die Kantstraße der Ku’damm des kleinen Mannes. Ich kam von der Wilmersdorfer Straße, ließ die Betonklötze der beflaggten Warenhäuser hinter mir, warf einen Blick in die jugoslawische Wurstküche, wo die ewigen Verlierer aus der Fußgängerzone über ihrem Nachmittagsrausch ins Grübeln kamen: Heimat, wie ist dir. Die Sonne hatte eingepackt, jetzt trieb der Rauch vom Kraftwerk Charlottenburg herüber und vermischte sich mit dem Hausbrand und den Auspuffgasen auf der Kantstraße. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die letzten Fußgänger mit Gasmasken herumliefen. Noch immer Mädchen mit viel Bein und Regenbögen im Haar, und dann die smarten Geschäftsfrauen um vierzig, die in ihren Textilgeschäften und Modeboutiquen, Parfümerien und Schmuckgeschäften einen zähen Kampf gegen Dollarkurs, Kriminalität, Kaufkraftschwund und einsame Nächte führten. Schon wieder ein neuer Asian Shop mit Lychee–früchten und Sojakeimen und tiefgekühlten Krabben und Gingembre de Thaïlande, wo man immerzu fragen möchte, ob sie nicht auch eine Unze Opium haben, und dann kauft man eben doch 50 Gramm Gunpowder Tea, Temple of Heaven. Schon wieder hatte ein Neoncafé den Pächter gewechselt und lockte jetzt mit exotischen Cocktails und einem Art-deco Interieur mit Weltraumstyling und wußte nicht, daß es so auch keine Chance hatte, weil der Fluch auf diesem Ort lag.
    Laut amtlichem Telefonbuch wohnte Michael Malzan in dem gelb verputzten Haus neben der Kantgarage, aber auf dem Klingelbrett fehlte sein Name. Langsam stieg ich die Treppe nach oben. Dies war sicher keine erste Adresse, aber ein guter Platz für einen, der in dem Dschungel ringsum auf Beute aus war. In der letzten Etage lagen zwei Wohnungen. Aus einer Wohnungstür drang gedämpfte Rockmusik, an der anderen hing das Reklameschild einer Sektmarke. Die mit dem gewissen Etwas. Ein Ironismus. Ich klingelte, aber niemand öffnete, so wie niemand ans Telefon gegangen war. Nun ja – ich würde wiederkommen. Ich wandte mich zum Gehen, als die andere Tür aufging.
    Ein Turm von einem Kerl, um die Dreißig, mindestens 1,90 in groß und breit wie ein Bierwagen. Schwarze Haare, eine Boxernase, schwarzer Seehundschnauzer, mißtrauische dunkle Augen. Er hatte ein verschwitztes T-Shirt mit dem Aufdruck BOSTON HARBOR HEALTH CLUB und Jeans an, und den Bauch wölbte nicht Bierfett, sondern harte Muskeln.
    »Was wollen Sie denn?«
    »Ich suche eine gewissen Herrn Malzan, Michael Malzan. Scheint nicht da zu sein. Kennen Sie ihn?«
    »Nie gesehen. Hier kennt keiner den anderen.«
    »Tja, wie das so ist in der Großstadt.«
    »Sind Sie vom Finanzamt?«
    »Sie machen aber Witze. Nein, ich bin von der Versicherung. Malzan hat Außenstände bei uns.«
    »Soll ich ihm was ausrichten? Vielleicht seh ich ihn doch mal.«
    »Wenn Sie ihn bisher nicht kennen, wäre das ja ein etwas merkwürdiger Beginn der Bekanntschaft. Nein, ich komme im Laufe der Woche wieder vorbei.«
    Er nahm einen Schluck aus der Bierdose, die in seiner Pranke fast verschwand, und wischte seinen Schnauzer ab. »Wie Sie

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