Das Schlangenmaul
man sagen.«
»Für welchen Verlag?«
»Der Name wird dir nichts sagen.«
»Gut, darüber möchte ich nämlich auch mit dir reden.«
»Über meine Arbeit? Wir sind seit fünf Jahren geschieden, Evelyn.« Was sie allerdings noch nie davon abgehalten hatte, meine Angelegenheiten weiterzumanipulieren – besonders die Steuersachen.
»Du hast hoffentlich nicht vergessen, daß du Journalist bist, Harder. Du hattest alle Chancen. Und jetzt sitzt du in einem von diesen Berliner Hinterhöfen und schreibst wahrscheinlich an einem Roman, den kein Verlag drucken wird. Dabei tut sich gerade so viel in der Branche.«
»Das tut es doch immer. Wo steigst du ab?«
»Im Schweizerhof. Ich habe einen Termin um 15 Uhr, sagen wir um fünf in der Bar? Wir können dann ja zusammen essen.«
»Ich werde da sein«, sagte ich und legte auf. Ich sah sie in ihrem Studio in Pöseldorf mit Alsterblick auf ihrer Couch von de Sède, sicher hatte sie noch ihre Nanas und das Zeug von Hundertwasser an den Wänden. Evelyn hatte sich ihren Namen in der Welt der Hochglanzzeitschriften und farbigen Beilagen gemacht mit Nanas und Beuys und Hundertwasser, Spezialistin für den Geschmack der Zeit und zahlungskräftiger Kunden und die Cadillacs der Wiener Schule und die golddurchwirkten Käppchen von Ernst Fuchs und für Venedig, Vision des Untergangs, und was die Bankiersfrauen und die Jil-Sander-Models sonst noch interessierte zwischen Sitzungen mit ihrem Haarstylisten und Wirtschaftskrisen. Sie hatte im Feuilleton angefangen, ich als Volontär bei der Hessischen Volkszeitung , im Sport, »Borussia macht alles klar«. Ich war wie wild gewesen auf diese Schickse mit ihrem kastanienbraunen Haar und ihren grünen Augen und ihrem Bessere-Leute-Lächeln und ihren langen Beinen und ihren arroganten Arschbacken und ihren Herrenreiterallüren und dem roten Schamhaar am Schlitz, das erste Mal hatte ich sie im Damenklo einer Münchner Moderedaktion im Stehen getickt, ich hatte ihren Maxi-Rock von Courrèges versaut, und sie hatte so laut, so irre gestöhnt, daß ich dachte, jetzt ist es aus, jetzt hast du dich durchgefickt, jetzt hast du etwas, das echt ist, eine echte Frau, echte Klasse, Harders Klassenkampf.
Ich trank den Wodka aus und sah nach, was ich zu essen hatte. Ich fand etwas im Tiefkühlfach, Scholle mit Champignons, und schob es in die Backröhre. Morgen würde ich mir ein gutes Stück Fleisch gönnen. Evelyns Kunstzeitschrift hatte es ja.
Als das Zeug heiß war, aß ich es direkt aus der Alu-Schale und trank noch einen Wodka dazu. Beim Essen ging ich die Notizen durch, die ich mir gemacht hatte. Sie gaben nicht viel mehr her als die Scholle. Das einzig Handfeste war das, was die alte Zicke in Kladow mir erzählt hatte, und die Baracke in Lübars. Farm für Freie Entfaltung. Und dann waren es doch wieder nur ein paar arbeitslose Heilpraktikerinnen mit einem Batik-Tick und einer Ringelnatter, um die sie einen altgermanischen Fruchtbarkeitstanz aufführten. Und das, was Nuchali mir geflüstert hatte? Kein Redakteur hätte auch nur eine Zeile davon gedruckt. Immerhin, ich arbeitete nicht für einen Redakteur, ich arbeitete für Nora Schäfer-Scheunemann. Michael Malzan. Klang wie ein Künstlername. Der semmelblonde Bayer mit Kamelhaarmantel und Verbindungen zur Farm für Freie Entfaltung, der ehemalige Schauspieler, vor dem Paul Scheunemann Schiß hatte, daß die Schwester gar nicht mit der Spritze nachkam. Mit einem persönlichen Draht zum Abgeordneten Dr. Myslisch. Archiv, dachte ich, morgen mußt du sofort ins Archiv. Du mußt vorgehen, wie du es gelernt hast, was, wo, wann, wer, wie, warum. Dr. Harald F. Myslisch, Anwalt, Abgeordneter, ein Name, der immer wieder auftauchte, wenn in Berlin von Skandalen die Rede war. Ein Freund der Familie in Kladow. Ein Freund, der viele Freunde hatte. Eine Spur, die sich zu verfolgen lohnte.
Ich preßte zwei Pampelmusen aus und mixte den Saft mit Wodka und einem Spritzer Zitrone, viel Eis. Wenn es anfängt, Winter zu werden, darf man nicht am falschen Ende sparen. Letztes Jahr um diese Zeit hatte ich mich zum ersten Mal von Kopf bis Fuß durchchecken lassen, Herz, Lunge, Blut, Leber, Nieren, auch die Augen, die Wirbelsäule, die Ohren, das einzige, was sie noch nicht durchchecken konnten, war das Hirn, für das, was das Hirn produzierte, gab es andere Spezialisten. Sie müssen das so sehen, Ihr Körper ist eine Maschine, hatte der Arzt gesagt, Ihr Auto muß ja auch alle paar Jahre durch den TÜV, neue
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