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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
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Reifen, Ölwechsel, Bremsflüssigkeit, wie wichtig sind schon die Scheibenwischer, und er hatte etwas von Alkohol und Nikotin gemurmelt und mir Pillen verschrieben. Zu Hause hatte ich die Packungsbeilagen studiert und das Zeug anschließend in den Müllschlucker befördert – zusammen mit den leeren Bierdosen, Würstchenpackungen, Alu-Schalen, Joghurtbechern, Kaffeebüchsen, Zahnpastatuben, Zigarettenschachteln, Spraydosen, Schnapsflaschen und all dem andern Krempel, in dem verpackt war, was man zum Leben brauchte und dafür, um es bei sich zu behalten. TÜV. Saufen gehörte einfach dazu, gesoffen hast du, als du zum ersten Mal deinen Namen im Blatt gesehen hast, gesoffen hast du, als der Lokalchef dich rausschmiß, weil es den Verkehrsunfall mit drei Toten gar nicht gegeben hatte, den du am 1. April auf die erste Seite gesetzt hast, mit Toten macht man nämlich keine Scherze, gesoffen hast du, als du den ersten Riemen auf Hochglanzpapier hattest, gesoffen habt ihr, als der Chefredakteur sagte, Harder, mit dir hab ich noch viel vor, du bist der Mann, der mir die Serien schreibt, pack den ganzen Krampf rein, Junge, hier, mach mal, die Fußballbräute. Gesoffen wurde immer. Du hast immer auf Zeile geschrieben, die Deadline gehalten, und wenn Not am Mann war, haben sie dir die Pulle auf den Tisch gestellt, und du hast im Layout noch die Motti und die Unterzeile gemacht, Harder, König der Unterzeile, sie konnten dir jede Farbstrecke hindonnern, acht Seiten Busen auf den Bahamas, nichts wie Sand und Titten, und in 20 Minuten hattest du den Text, Sonne auf Sappho, und deine Serie wurde vom Blatt redigiert. Du hast tierisch gesoffen, du warst tierisch glücklich, bis Evelyn kam, hattest du alles im Griff. Und dann diese Frau und das Kind. Du hast ihnen die Füße geleckt, du hast sie auf den Thron gesetzt, du hast aufgehört zu saufen, du hast aufgehört zu schmieren, du hast gedacht, aus dir wird noch etwas ganz Feines, mein Mann macht jetzt nicht mehr diesen Tittenjournalismus, er macht eine Serie über die deutschen Filmemacher, die Radikalität des Weltbilds bei Fassbinder, laß doch den Scheiß, hat der Chef gesagt, Kulturwichser gibt es genug, hier, Busenwunder Made in Germany, das ist dein Terrain, das ist dein Acker, oder hier, die Frauen der Politiker, über Film kann jeder schreiben, Harder, du machst wieder die Frauen, die verschwunden sind. TÜV. In Bonn wurde noch tierischer gesoffen als anderswo, die Frau des Abgeordneten, der sich Hoffnungen auf den Posten des Parlamentarischen Staatssekretärs im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit machte, rieb sich die Titten mit Goldpuder ein und sagte, wenn du dir die Haare zurückkämmst und die Zähne fletschst, siehst du aus wie Jack Nicholson in Shining , Männer sind von Natur aus Mörder, dann riß sie dir mit ihren Nägeln die Haut in Streifen vom Rücken, und du standst in ihrem Morgenmantel da und hast die Akten durchgewühlt, als der Abgeordnete vom Wahlkampf zurückkam, er hatte den Bundeswehrhubschrauber benutzt. Irgendwo hättest du sicher wieder die Motti machen können.
    Ich hockte mit dem leeren Glas auf einer Umzugskiste mit Büchern, als auf der Straße jemand schrie.
    »Feuer! Feuer!«
    Ich hatte nur drei Schritte zum Balkon. Der kalte Wind fauchte mich an. Auf der Straße standen sie schon, die Jugendlichen von der Diskothek, Passanten, Leute aus den Kneipen. Das oberste Stockwerk in dem Haus gegenüber brannte.
    Erst war es nicht viel mehr als ein züngelndes Licht, das in zwei Zimmern an den Wänden hoch flackerte, aber das alte Zeug brannte wie Zunder, und der Wind fachte die Flammen noch an. Schon hörte man die Feuerwehrsirenen. Es brannte und krachte. Überall ging Licht an, Fenster wurden aufgemacht, die Leute drängten sich auf ihren Balkonen. Die ersten Spritzenwagen donnerten von der Kantstraße her, die Polizei kam von der Bismarckstraße, zwei Streifenwagen. Das Feuer griff um sich, niemand kam aus dem Haus gelaufen, vielleicht hatten sie es alle schon verlassen und dann das Feuer gelegt. Wem nützte es? Vor der Oper standen sie in ihren Roben und dunklen Mänteln und hatten gleich die Gläser zur Hand, und als die Flammen aus den Fenstern schlugen, setzte es Bravos und Zugabe! von den Stehplätzen, und dann riegelten sie die Straße ab und fuhren die Schläuche aus.
    Ich füllte mein Glas nach, als das Telefon läutete.
    »Harder?«
    »Wer ist da?«
    »Heinz Harder, der Journalist?«
    Es war nicht viel mehr als ein Flüstern.

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