Das Schlangenmaul
Tapet kommen. Mal sind es die vermißten Mädchen, mal die verschwundenen Ehemänner. Jetzt geistert da wieder eine Zahl durch die Presse – jeden Tag verschwindet in Berlin ein junges Mädchen –, Sie kennen sich doch aus, Herr Rat. Prompt ruft mich der Redakteur an: Harder, ab geht er.«
Smetana zelebrierte seinen ersten Schluck. Dann kam die Zigarette, und das Lächeln, das jetzt um seinen Mund spielte, hatte ich außer bei ihm nur im Zoo gesehen. Bei den Hyänen.
»Ich kann mich an Ihre letzte Reportage erinnern«, sagte er. »Wie hieß sie noch gleich?« Sein Zögern war Mache. Er hatte lückenlose Belege. »Ah ja, ich hab’s: ›… und morgens das leere Bett‹. Ziemlich plastischer Titel.«
»Aber falsch. Das war die über die verschwundenen Ehefrauen, Herr Rat. Die über die Mädchen hieß …«
»›Immer, wenn das Telefon klingelt‹. Hab ich doch glatt verwechselt.«
Noch mehr Mache. Smetana hatte noch nie etwas verwechselt, nicht mal zwei von den unbekannten Toten, für die er – zusammen mit den Bränden und den Vermißten – zuständig war.
»Den Titel macht in der Regel der Redakteur«, sagte ich.
»Gute Arbeit«, versicherte er. »Jedenfalls haben die Fakten meistens gestimmt, und was das betrifft, werden wir ja von Ihren Kollegen nicht gerade verwöhnt. So auch diesmal, Harder. ›Jeden Tag verschwindet in Berlin ein junges Mädchen‹, das können Sie sich gleich abschminken. Da hat mal wieder ein Kollege aus dem Ressort Phantasy zugeschlagen.«
»Hab ich mir doch gedacht, Herr Rat. Aber wie diese Redakteure in ihrem Stumpfsinn sind, jetzt warten die darauf, daß ich mit einer Story überkomme. Sie ahnen ja gar nicht, was da an Stichworten fiel. Rauschgift. White Slavery. Weiße Mädchen für Manila. Eine Phantasie haben die Leute, wie ein abgenagter Zahnstocher.«
»White Slavery«, wiederholte Smetana und schnüffelte an dem Ausdruck herum wie eine Hyäne, die auf ein Stück Aas gestoßen ist, das selbst ihr verdächtig vorkommt. »Das rangiert gleich hinter dem Ungeheuer von Loch Ness, würde ich sagen.«
»Hab ich mir auch gedacht. Deshalb möchte ich die Sache auch ganz anders angehen, Herr Rat. Ich hab nämlich in meinem Bekanntenkreis so einen Fall, wissen Sie – ein Mädchen, das in Berlin verschwunden ist –, und daran werde ich meine Reportage festmachen.«
Er ließ etwas Rauch aus der Nase driften, dann betrachtete er seine halb gerauchte Zigarette und drückte sie aus. Ein echter Pausenfüller. Schließlich räusperte er sich.
»Ist das Mädchen als vermißt gemeldet?«
»Nein.«
»Wie alt?«
»Fast neunzehn.«
»Woher?«
»Raum Hannover.«
»Konkrete Anhaltspunkte?«
»Wofür?«
»Für Ihre Behauptung, daß das Mädchen verschwunden ist. Und zwar in dieser Stadt.«
»Konkret ist noch nichts. Ich fange ja auch gerade erst an zu recherchieren. Eventuell spielt da eine Art Sekte rein, hier in der Bleibtreustraße, so was Indisches mit Schlangenbeschwörung. ›Institut für physio-soziale Therapier ›Magic Air & Transporte ›Farm für Freie Entfaltung‹ in Lübars. Sagt Ihnen das etwas?«
Er lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander, so daß ich feststellen konnte, wie gut seine nußbraunen Socken zu seinem tabakbraunen Glencheck-Anzug und seiner ockerfarbenen Krawatte paßten, und gönnte mir ein mitleidiges Lächeln.
»Sie haben einen Beruf, um den man Sie beneiden kann, Harder. Keine festen Bürozeiten, können kommen und gehen, wie Sie wollen, frei wie die Lilien auf dem Feld, und wenn es Ihnen paßt, stricken Sie eine kleine Story zusammen, ›und morgens das leere Bett‹ – Leser gibt es immer. Und wenn Ihnen mal etwas nicht geheuer vorkommt, gehen Sie einfach zur Kripo, da findet sich schon jemand, der Ihnen weiterhilft. Und damit es denen nicht einfällt, Sie für einen Ruhestörer zu halten, garnieren Sie das Ganze noch mit dem persönlichen Bekanntenkreis. Ach ja, fast hätte ich die White Slavery vergessen. Als Appetithäppchen vorweg.«
»Ich weiß nicht, womit ich das verdient habe«, sagte ich. »Da arbeitet man mit der Polizei zusammen, und dann wird man auch noch beleidigt.«
»Sie? Sie sind doch nicht so schnell zu beleidigen, Harder. Ihr Problem ist, daß Sie zu viel von diesen Serien gestrickt haben, und jetzt tapsen Sie nur noch in Ihren eigenen Kulissen herum. ›Farm für Freie Entfaltung‹ – sind Sie sicher, daß Sie das nicht schon 1976 hatten? Als Sie die Reformkostschwindler gemacht haben? Oder was immer?«
»Als
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