Das Schlangenmaul
»Wer spricht da?«
»Hast du mal aus dem Fenster gesehen, Harder? Nettes Feuerchen, nicht? Stell dir mal vor, es brennt in deinem Hochhaus. Wo wohnst du? Im dreizehnten Stock. Ob du da noch rechtzeitig runterkommst?«
Ein heiseres Flüstern. Die Stimme kam mir bekannt vor.
»Hier ist ein Fan von dir, Harder. Ein Fan, der möchte, daß du noch lange lebst. Und wunderschöne Berichte schreibst. Über Frauen mit geilen Titten. Und das wirst du auch, Harder. Du mußt nur aufpassen, wem du dumme Fragen stellst.«
»Du bist ja verrückt, du Sau.«
»Meinst du? Sieh dir das Feuerchen genau an, Harder, und stell dir vor, wie es sein wird, wenn es in deinem Hochhaus brennt und du stehst auf deinem Balkon und unter dir liegt nur das Dach der Tiefgarage. Guck dir das Feuerchen an und paß auf, Mann, wem du Fragen stellst. Paß auf.«
Klick.
»Du dumme Drecksau, dich kauf ich mir«, schrie ich in die tote Leitung, dann legte ich auch auf.
Dich schmeiß ich in den Müllschlucker, dachte ich, da gehörst du hin, in den Müllschlucker, zu den leeren Büchsen, den Tampons und den Ratten. Da hat Betsy Glück aber schnell geschaltet, dachte ich. Da muß ich ihr doch einen gehörigen Schrecken eingejagt haben. Wollen mich verarschen, wollen mir angst machen, wollen, daß ich mir die Decke über den Kopf ziehe und über die Radikalität des Weltbilds bei Fassbinder nachdenke. Da müßt ihr aber früher aufstehn, Jungs.
Ich nahm das Glas und stellte mich wieder auf den Balkon, ich guckte mir das Feuerchen an, oh ja. Ich sah zu, wie sie die Leitern ausfuhren und den Schaum rausspritzten, wie sie ein Loch in das Dach schlugen, um an den Brandherd zu kommen, wie die Leute in dem Neubau nebenan ihre Kinder beruhigten und sich beruhigten und ihre Einbauküchen und ihre Bankkontos und Versichungspolicen, ich sah zu, wie der Wind abflaute und die Opernbesucher nach Hause fuhren und die Diskobesucher sich zerstreuten, bringt doch nichts Mann, wie sie das Feuer schließlich erstickten, wie sie die Straße wieder räumten, wie der verkohlte Stumpf des Hauses noch rauchte und ächzte und schließlich nur noch dastand und darauf wartete, daß die Geier kamen. Einen Drink später wußte ich, wem die Stimme gehörte, dieses heisere Flüstern. Ich hatte es doch erst ein paar Stunden früher gehört, dieses heisere, hohe Flüstern, das mußte man sich doch einprägen, er arbeitete ja schließlich auch bei Film und Fernsehen, Albin der Zwerg, dich kauf ich mir, Mr. Horror.
14
Bei der Kriminalpolizei in der Keithstraße wedelte ich am nächsten Vormittag Punkt zehn Uhr mit meinem alten Presseausweis und wurde gleich in den zweiten Stock geschickt. In der Treppenhalle war es so still wie in einer Kirche, und so sollte es ja auch sein – Vater, ich habe gesündigt. Nur Gott konnte Gnade vor Recht ergehen lassen; aber der Bulle brauchte Beweise.
Kriminaloberrat Smetana stand am Fenster seiner preußischen Sakristei und rieb sich die Hände. Er war ein mittelgroßer Mann in mittleren Jahren, der eine Vorliebe für gedeckte braune Anzüge hatte, die am besten zu seinen haselnußbraunen Augen paßten, die man für die Augen eines Privatgelehrten oder eines Priesters halten konnte, was Smetana sicher auch geworden wäre, wenn er nicht als preußischer Polizeibeamter das Licht der Welt erblickt hätte. Als er mich erkannte, kam er mit einem huldvollen Lächeln auf mich zu und gab mir die Hand.
»Nett, Sie mal wieder zu sehen, Harder.«
»Hat man Ihnen die Heizungszulage gestrichen, Herr Rat? Verdammt kalt bei Ihnen?«
»Man geht davon aus, daß uns die Pflicht einheizt.«
»Treiben Sie das Preußentum nicht auf die Spitze?«
»Das sagen Sie jetzt. Und wenn wir irgendwann unser neues Dienstgebäude beziehen, macht ihr uns wieder madig. Tee?«
Es war eine rhetorische Frage. Bei Smetana gab es niemals etwas anderes als Tee, und den bereitete er selbst auf einer Platte hinter seinem Schreibtisch zu und servierte ihn in echten Porzellantassen. Auf seinen Tee hielt Smetana sich etwas zugute. Seine Bewegungen waren geschmeidig und perfekt koordiniert. Es war eine Freude, ihm beim Teekochen zuzusehen. Wenn ich ein Krimineller gewesen wäre, hätte er mich schon damit eingesackt.
»Am Telefon klangen Sie etwas vage«, sagte Smetana, nachdem er den Tee an seinem Konferenztisch serviert hatte. »Was kann ich denn für Sie tun?«
Ich probierte einen Schluck. Köstlich, wie immer.
»Sie wissen doch«, sagte ich, »wie solche Themen immer wieder aufs
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