Das Schlangenmaul
Zeiten«, sagte ich und machte die Tür zu, bevor er wieder laden konnte.
15
»Servus, Harder«, trompetete Oskar Luckenrieder und kippte einen Berg von Papieren aus seinem Besuchersessel, »was trinkst du? Komm, wir trinken ein Weißbier, ich hab Erdinger Weißbier, genau wie früher, freut mich, setz dich.«
»Ich hätte lieber einen Kaffee«, sagte ich.
Er starrte mich einen Augenblick mit seinen blutunterlaufenen Augen an, dann riß er die Tür nach nebenan auf. »Mach uns Kaffee, Margit, extra stark, wir arbeiten!«
Oskar hatte immer noch das freundlichste Brüllen, das man in seiner Branche zu hören bekam, und Sommersprossen in einem Lausbubengesicht, wie in den Zeiten, als er noch eine gepunktete Fliege und Samtanzüge trug und sich seine ersten Sporen in der Werbung für Pfanni verdiente, während ich die Busenwunder betextete. Jetzt war ich Bergungsexperte, und Oskar machte die Wahlkampagne für die fundamentale Opposition. In Jeans und Hemdsärmeln. Auch seine Haare fingen an, sich zu lichten.
Er pflanzte sich wieder hinter das übliche Chaos auf seinem Arbeitstisch und legte die Beine hoch. Ich stellte fest, daß er immer noch spitze schwarze Halbschuhe trug, deren Schnürsenkel lose herabhingen.
»Wie geht’s der Wahlkampagne, Oskar?«
»Pfundig«, legte er los, »ich bin total happy. Ich mach eine Wahlkampagne, was Tolleres gibt es nicht, Harder. Ich hab ein Fünftel vom Etat der FDP, lächerliche Summe, absoluter Kinderkram, und was soll ich dir sagen? Ich brauch gar nicht mehr. Wir können nur gewinnen.« Er fuchtelte mit Listen herum. »Schau dir an, was du in einer Wahlkampagne an medialen Zielmitteln hast und was wir davon machen können, da hätte ich dich früher aus dem Büro gelacht als Kunde, wenn du mir das geboten hättest, für die Politik mach ich es, für diese Politik, und weißt du warum? Ich fühl mich saugut dabei.«
Seine Sekretärin brachte den Kaffee, der so stark war, daß mir der Schweiß ausbrach. Oskar brach auch der Schweiß aus, das beruhigte mich.
»Und wie stehen eure Chancen?«
»Harder, wir können gar nicht verlieren. Es ist mir ja fast schon peinlich, aber es sieht nun mal so aus, was die andern auch machen, wir profitieren davon. Aber es geht ja gar nicht um Stimmen.«
»Regieren wollt ihr nicht?«
»Regieren? Du meinst, die Ohnmacht verwalten. Ja, sind wir denn blöd? Haben wir nichts gelernt? Beten wir den Schwindel nach, den die andern als Politik ausgeben? Die Wahl ist für uns nur Mobilisierung, Harder, Aufklärung, richtig gutes 19. Jahrhundert, so machen wir das, pfundweise Broschüren. Allein zum sozialen Wohnungsbau haben wir da ein Ding, das ist so saugut, dafür müßten wir den Nobelpreis kriegen, alles ausgerechnet, Modelle durchgespielt für die nächsten 50 Jahre, das ist Wahlkampfwerbung im absolut jungfräulichen Zustand, ein paar Stelltafeln, ein paar give-aways, ein paar Spots, das ist alles. Unsere Anzeigen druckt die bürgerliche Presse in dieser Stadt ja nicht, diese freie Presse, Harder, da kriegst du das Kotzen, nichts gegen deinen Beruf. Willst du bei uns mitmachen?«
»Ich bin Illustriertenschreiber, Oskar, das ist zwar auch fundamental, aber anders. Wieso drucken die eure Anzeigen nicht?«
»Entspricht nicht dem Stil unseres Hauses‹, wenn du da nur mal antippst, was an Schweinereien abläuft, ›müssen wir leider stornieren, Herr Luckenrieder‹, und immer nur mündlich, die Brüder legen sich ja nicht mehr schriftlich fest, bloß keine schriftlichen Festlegungen, das haben sie inzwischen gelernt, damit sie hinterher erstaunt fragen können, der Kindermund: ›Ich? Ich war damals im Urlaub, Teneriffas un d den Flugschein haben sie dann eben zur Hand, von der Tante oder dem Parteikassierer. Tja, mein Lieber, was du da an Ohnmacht erfährst, und du kannst doch nicht ewig rumlaufen damit, davon gehst du doch kaputt. Ich mach Wahlkampf. Ich geh nicht kaputt. Und was machst du, damit du nicht kaputtgehst?«
»Ich wühl im Dreck«, sagte ich. »Und wie ich da so im Dreck wühle, bin ich auf etwas gestoßen, das wäre vielleicht was für euch. Munition, meine ich. Wahlkampfmunition. Allerdings, sehr jungfräulich ist es nicht.«
»Das ist Dreck doch nie«, sagte Oskar. »Laß schon hören.«
Ich ließ ihn etwas von einem verschwundenen Mädchen hören, dessen Vater in den 60er Jahren tief im Berliner Baugeschäft gesteckt hatte, ich erwähnte einen zwielichtigen ehemaligen Barbesitzer und eine mysteriöse Sekte mit Sitz sowohl
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