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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
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in der Bleibtreustraße als auch an der Sektorengrenze in Lübars – und dann malte ich mit dickem Filzstift einen Kreis.
    »Dr. Harald F. Myslisch«, sagte ich. »Er war, wie ich im Archiv herausgefunden habe, einer der Anwälte dieser Baufirma bei einem Prozeß, in dem es um den Einsturz eines Neubaus ging – der berühmte Ziegelsplittbeton-Prozeß von 1962. Wenn man da ein bißchen mehr kratzt, kommt man wahrscheinlich ziemlich rasch in die Kloake, Oskar.«
    »Das ist aber eine ziemlich alte Kloake, Harder.«
    »Je länger es zurückgeht, desto besser. Gerade in der Baubranche. Die Vergangenheit ist das Fundament von allem, was sie bis heute hochgezogen haben. Grab die Leichen aus, und du bringst es zum Einsturz. Das nenne ich Fundamentalopposition, Oskar.«
    »Myslisch ist doch bekannt als Skandalpolitiker, damit mobilisierst du niemand, wenn du ihm jetzt noch was anhängst, und wenn es junge Mädchen sind – im Gegenteil.«
    »Myslisch ist einer der starken Männer der jetzigen Regierung dieser Stadt, Oskar. Wenn der fällt, wackelt der Laden.«
    »Und was willst du ihm anhängen? Daß der Mann sich mit zweifelhaften Figuren abgibt, ist doch bekannt. Damit macht er sein Geld. Für 30 Riesen kannst du als Ausländer einen deutschen Paß bei ihm bekommen, für 50 verhindert er, daß du ausgeliefert wirst, und für 100 übernimmt die Stadt dich in den öffentlichen Dienst oder subventioniert dein Reisebüro – alles längst aktenkundig.«
    »Und was macht ihr damit?«
    »Was sollen wir denn damit machen?«
    »Wenn ich zu dir mit Beweisen käme, Oskar, mit glasklaren Beweisen, Fotos, Tonbänder, Protokolle, daß Myslisch – nur um ein Beispiel zu nennen – in einem Mädchenring drinhängt, Prostitution, Drogen, Waffen, was würdest du machen? Ihr seid doch für die große Sauberkeit – saubere Luft, sauberes Wasser, saubere Verhältnisse.«
    Oskar seufzte, nahm eine von meinen Zigaretten, paffte ein paar Züge und drückte sie dann angeekelt aus. »Siehst du, Harder, du hast einfach keine Ahnung von unserem Politikverständnis. Saubere Verhältnisse – Herrgott, die schaffst du doch nicht, indem du irgendeinen von diesen Aasgeiern aus dem Verkehr ziehst und damit einem neuen die Gelegenheit gibst, sich aufzubauen. Das schaffst du doch höchstens durch eine radikale Veränderung der politischen Strukturen. Wir führen keinen Wahlkampf gegen bestimmte austauschbare Repräsentanten des Systems, wir führen überhaupt nicht gegen etwas Wahlkampf, sondern für etwas. Wir sind eine positive Kraft.«
    »Hört sich an, als hättet ihr vom Bhagwan abgeschrieben.«
    »Wir nehmen von überall, wenn es gut für uns ist. Wenn es uns weiterbringt. Positiv, Harder. Und da kommst du an und willst eine Dreckkampagne, das ist doch dein Illustriertenscheiß, die Auflage hochputschen, warum willst du das denn überhaupt? Wo ist denn für dich der Schnitt dabei?«
    »Mein Schnitt ist die Story.«
    »Die Story, aha. Und ich dachte schon, du machst es wegen der Mutter. Oder der Tochter. Und wer bringt die Story?«
    »Das ist es doch, Oskar. Ich geb sie euch. Eine Originalstory.«
    Er setzte sich aufrecht hin und kratzte seine Nase. Nebenan lief ein Kopiergerät auf Hochtouren, und irgendwo läuteten zwei Telefone gleichzeitig.
    »Wir zahlen aber nicht, Harder.«
    »Da siehst du mal, wie schlecht du mich kennst. Ich geb sie euch, Oskar, weil sie mir sonst weggenommen wird. Ich kenn die Schweine in den Redaktionen doch. Unsereins macht die Drecksarbeit, und die schmücken sich dann mit den Lorbeeren. Ich geb die Story euch, unter einer Bedingung: daß ihr sie ungekürzt bringt.«
    »Und dann? Der Mann ist Anwalt, Harder. Das endet alles in jahrelangen Prozessen, dieser ganze pseudolegale Scheiß, irgendwann haust du ihn weg vom Fenster, ja und? Das bringt nichts, das ist nicht unser politischer Stil, das muß doch alles von unten nach oben verändert werden, es geht um unsre Ohnmacht in diesem System, nicht um einzelne Personen.«
    »Politik wird aber nun mal von Personen gemacht. Vielleicht sollte ich mich an eure Konkurrenz wenden.«
    Oskar brüllte vor Lachen.
    »Die? Die haben doch selbst ihre Myslischs, Harder, von wegen Baubranche, Servus! Und was ist, wenn sie nach der Wahl mit denen koalieren müssen? Die fassen so eine Story nicht mit der Kneifzange an. Für ein Fetzelchen von der Macht schlucken die eine ganze Menge mehr Dreck als einen Myslisch.«
    Ich stand auf. »Und wenn es nach euch geht, ändert sich auch nichts.

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