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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
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Mythos – Das Verhängnis‹. Nur daß ich wußte, wie das Saugen ging. Ich saugte an meiner Zigarette. Am Savignyplatz dämmerte es. Schon wieder ein neuer Tag, und ich fühlte mich dreckig und zerlumpt und zerschlagen, wie immer, wenn ich mitten in einer Story lebte und lauter erste Absätze probierte, von denen keiner stimmte. Kippen, hörte ich den Alten schon sagen, mit dieser Stimme, die dann immer so hart war wie eine Nylonschnur um deinen Hals, wenn du nicht klarkommst damit, Harder, kippen wir sie. Aber mit den Stories war es so, du bist dann drei Tage versackt und hattest plötzlich den ersten Absatz im Kopf, und dann konntest du gar nicht schnell genug schreiben, es lief dir aus dem Bauch in die Tasten, pünktlich zur Deadline. Einmal noch frühmorgens zum Bahnhof fahren, dachte ich, und das druckfrische Ding kaufen und deine Story lesen, mitten unter den Leuten, die zur Arbeit fähren und die Halle fegen, den Besoffenen, den Strichern, da unten auf der letzten Zeile dein Name, kursiv, oder zwischen zwei Zeilen auf dem Aufmacher, wenn es eine große Story ist, elf Punkt halbfett, ein Bericht von Heinz Harder, einmal noch, wie gut die Blätter gerochen haben.
    Ich stellte das Glas Wodka auf die Bank, ich hatte es noch nicht angerührt, und ließ mir am Tresen das Telefon geben. Ich hatte ja noch eine Verabredung. Ich sah Betsys Küche, ich sah das Telefon auf dem Schränkchen neben dem Video, ich sah Betsy abnehmen, ich sah Nuchali um die Ecke lächeln: Für mich? Jemand nahm den Hörer ab und sagte: »Wer ist da?«
    Ich legte auf. Wenn im Puff ein Mann am Telefon ist, kannst du dir den Weg sparen.
     
    Und dann war es das Telefon, das mich weckte. Ich lag allein in einem durchgeschwitzten Laken voller Albträume. Hau ab, Welt. Sie dachte nicht daran.
    »Harder?«
    Eine von diesen Stimmen, die alles von dir wollen, und zwar vorgestern. Ich brachte nur ein Grunzen zustande und sah dabei auf die Uhr. Dreizehn Uhr vierzig. Ich war fast neun Stunden weg gewesen.
    »Hier ist Smetana, Harder. Kriminaloberrat Smetana.«
    »Ich hab sie nicht vergessen«, sagte ich.
    »Sind Sie noch an Ihrer Seite über verschwundene Mädchen?«
    Ich brachte keinen Ton heraus.
    »Über Prostitution und White Slavery?«
    »Mittendrin.«
    »Wissen Sie, wo unser Leichenschauhaus liegt?«
    »Invalidenstraße.«
    »Dann setzen Sie sich mal in Bewegung, Harder.«
    Er legte auf. Die letzte Nacht holte mich ein wie eine berstende Decke.

28
    Das Leichenschauhaus der Kriminalpolizei in Moabit verteilte sich auf mehrere Flachbauten, die von außen wie eine Ferienanlage aussahen. Tote machen ewig Urlaub. Ein Beamter in Zivil brachte mich in den Sektionssaal. Sie standen um eine Bahre herum, Smetana und ein paar andre seines Kalibers. In der abgetrennten Kabine mit der Glaswand diskutierten die Leute von der Staatsanwaltschaft mit einem Arzt. Ich blieb stehen, bis Smetana mich erkannte. In dieser kalten Halle war kein Lächeln zwischen uns.
    »Sie sind doch ein Spezialist für vermißte Mädchen, Harder. Und für die neuen Formen der Prostitution. Vielleicht interessiert es Sie, ein Ergebnis der herkömmlichen Form von Prostitution zu sehen.«
    Er wartete keine Antwort ab, sondern nickte zu der Bahre hinüber. Ich brauchte höchstens eine halbe Erdumdrehung, bis ich neben der Bahre stand. Ein Mann in einem weißen Kittel schlug das Tuch zurück, und dann war es, als ob mich jemand mit voller Wucht in den Bauch getreten hätte.
    Die Tote war Nuchali. Sie hatten ihre Augen zugedrückt, aber die Wunden auf dem Körper hatten sie nicht schließen können. Der Bauch war von Rissen zerschnitten, als ob jemand mit einem rostigen Nagel Amok auf ihr gelaufen wäre. Und dann mußte sie im Wasser gelegen haben. Nicht lange, aber lange genug, um alles, was Nuchali auf dieser Erde gewesen war, restlos zu zerstören.
    Smetana räusperte sich. »Kennen Sie die Tote?«
    Ich nickte.
    »Ihren Namen auch?«
    »Nuchali.«
    »Das ist der thailändische Vorname, richtig? Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«
    Ich mußte rechnen. »Dienstag Abend.«
    »Wo?«
    »Bei ihr.«
    »Sie meinen, in dem Puff, in dem sie arbeitete?«
    Ich nickte.
    Ein anderer mischte sich ein. »Sind Sie sicher, daß Sie sie nicht verwechseln? Die Thais sehen sich doch alle ähnlich.«
    Ich starrte ihn an. Lange genug, um sagen zu können: »Bullen sehn sich auch alle ähnlich.«
    Das war der Augenblick, in dem Smetana eingriff“. Er wußte, daß ich mal geboxt hatte und es mir jetzt bestimmt

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