Das Schlangenmaul
aus, bis auf die wasserklaren Augen. Für seine Verhältnisse war er zurückhaltend angezogen – rosa Sweatshirt von Lacoste, Khakijeans in Karottenform und gut eingelaufene Joggingschuhe Marke Nike. Kein Wunder, daß er sich die Wohnzimmergarnitur verkneifen mußte.
»Ich hab dir doch gesagt, Alter, komm zu Jade, wenn du in Schwierigkeiten steckst. Wo brennt es?«
»Ich brauche ein Aufnahmegerät – und zwar möglichst eins, das so klein ist, daß du es in eine Streichholzschachtel bekommst. Oder in die Armbanduhr. Verstehst du, worauf ich hinauswill?«
»Laut und deutlich, Harder. Unterwegs in Sachen Abhöraktion. Operation Kamasutra?«
»Es ist besser, wenn du nicht zu viel weißt. Glaubst du, daß du mir helfen kannst? Ich weiß auch nicht, warum ich damit zu dir komme, aber aus den Andeutungen, die du neulich gemacht hast, habe ich den Schluß gezogen, du wärst der richtige Mann für solche Sachen.«
»Und aus den Andeutungen, die du gemacht hast, schließe ich, daß du dieses Band brauchst, um eine Bombenstory abzuliefern. Top secret noch das Ganze, klar- aber die Richtung Kamasutra stimmt doch?«
»Bin ich mir nicht mehr so sicher. Da ist noch eine Menge zu recherchieren. Aber nicht mit Stenogrammblock und Kassettenrecorder.«
Über den Rand seiner Coladose sah er mich nachdenklich an. »Du siehst aus, als stehst du unter Schock, Harder. Bist du sicher, daß du das Ding sofort in Angriff nehmen willst?«
Ich machte die nächste Zigarette an und sagte: »Der Angriff läuft schon, Jade. Kommst du an solche Dinge ran oder nicht?«
Er stellte die Dose in die Alu-Schale und lächelte sein 007-meldet-sich-zum-Einsatz-Lächeln. »Kann sein, die Sache kostet etwas, Harder, aber du bist an der richtigen Adresse. Wann brauchst du es?«
»Sofort.«
»Ich muß mal telefonieren.«
Er blieb nur so lange im Schlafzimmer, bis ich die Zigarette aufgeraucht hatte. Die Schlafzimmertür hatte er zugemacht, und ich hatte nur den Anschlag der Telefonglocke im Flur gehört. Zwei Gespräche.
»Volltreffer beim zweiten Versuch«, sagte er und schlüpfte in einen dunkelblauen Blouson. »Die Sache ist die, Harder, mitnehmen kann ich dich nicht. Die Leute, mit denen man da zu tun hat, sind ungeheuer security bewußt.«
»Wenn du mir sagst, wann ich kommen soll …«
»Aber ich bitte dich, Alter. Zieh dir einen Video rein oder eine Zeitschrift. Ich bin in einer Stunde spätestens zurück. Bis wie viel kann ich gehen?«
»Für das richtige Gerät? Ich hab keine Ahnung von den Preisen, Jade.«
»Vielleicht kommen wir mit einer Leihgebühr klar.«
»Hauptsache ist, ich muß es allein bedienen können. Nichts, wofür ich einen zweiten Mann brauche.«
»Du kannst über mich verfügen, Harder.«
»Das einzige, worüber ich gern verfügen würde, ist dein Telefon. Ein Auswärtsgespräch.«
»Aber Vorsicht. Ich weiß nicht, wer alles mithört.«
»Du liest zu viel Thriller, Jade.«
Er war schon an der Wohnungstür. Durch die dünne Wand drang von nebenan Diskomusik.
»Weißt du, was der Preis der Freiheit ist?«
»Keine Ahnung.«
»Ewiger Verfolgungswahn. Auch aus einem Thriller.«
Er machte die Tür zu. In diesem Augenblick ging das Telefon. Ich zögerte einen Augenblick, dann ging ich ins Schlafzimmer und nahm den Hörer ab.
»Ja?«
»Jade?«
»Ist in einer Stunde zurück. Kann ich was ausrichten?«
Keine Antwort. Der Hörer wurde aufgelegt. Ich hätte noch nicht mal sagen können, ob es ein Mann oder eine Frau gewesen war. Vielleicht solltest du auch anfangen, unter Verfolgungswahn zu leiden, dachte ich. Vielleicht würde der Verfolgungswahn das verdrängen, worunter du jetzt leidest.
Ich machte einen Anruf, den ich nicht auf die lange Bank schieben wollte, und rief dann in Volksen an. Nora Schäfer-Scheunemann nahm den Hörer im gleichen Augenblick ab, als es zum ersten Mal läutete.
»Ich versuche schon die ganze Zeit, Sie zu erreichen«, sagte sie. Ihre Stimme klang hoch und heiser und atemlos.
»Ich bin unterwegs. So wie es aussieht, werde ich Miriam heute Abend sehen.«
»Das brauchen Sie nicht, Harder.«
»Was heißt das?«
»Das sage ich doch. Sie brauchen Miriam nicht mehr zu suchen. Sie hat mich angerufen. Ich weiß jetzt, daß sie in Berlin ist. Ich werde mich um sie kümmern. Ihre Arbeit ist getan, Harder.«
Meine Hand, die den Hörer packte, war feucht. Vielleicht war das der Anfang des Verfolgungswahns. »Hören Sie«, sagte ich und spürte, daß auch meine Stimme allmählich heiser wurde,
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