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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
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Aber nun mußt du den Preis für den Verfolgungswahn auch zahlen. Du hattest zu wenig davon.«
    Ich trat mit voller Wucht gegen sein Kinn, und wenn in der Linken alles an Sportsgeist gewesen war, was ich noch hatte, dann war in meiner Stiefelspitze nur noch das, was man für Verräter empfindet – Abscheu und Verachtung. Zwei Minuten später hatte ich Jade mit seinem zerfetzten Blouson geknebelt und gefesselt und stand an dem Schaltpult der Überwachungszentrale und holte jede einzelne Kamera rein, während ich meine geschwollenen Knöchel leckte.
    Auf der Straße war alles ruhig.
    Im Osten war alles ruhig.
    Shiva und Malzan.
    Shiva: »Wann soll ich Indira holen?«
    Malzan: »Ich mach das für dich, Prinzessin.«
    Shiva (kichernd): »Du sollst mich nicht Prinzessin nennen, hat Gesine gesagt.«
    Malzan: »Ich nenne dich, wie ich will.«
    Shiva: »Machst du auch sonst, was ich will?«
    Malzan: »Das weißt du doch.«
    Shiva: »Dann komm her.«
    Der Kuß dauerte ziemlich lange. Was heißt Kuß – sie waren ineinander verschlungen wie zwei liebestolle Vipern. Dann:
    Malzan: »Ich hole jetzt Indira.«
    Shiva: »Du weißt doch, daß sie es lieber hat, wenn ich sie hole.«
    Malzan (lächelnd): »Das kann ich verstehen, Prinzessin. Aber du mußt dich jetzt auf die Zeremonie vorbereiten. Ich bin gleich zurück.«
    Malzan im Gang, Malzan mit Korb im Schlangenraum. Shiva in einem Nebenraum des Kultzimmers, sie legte die Maske an. Malzan vor den Terrarien, mit Handschuhen und Stange. Er schloß ein Terrarium auf, schob mit äußerster Vorsicht die Schiebetür zur Seite, brachte die Königskobra in den Korb, schloß den Korb. In voller Länge war das Tier selbst auf dem grau flimmernden Bildschirm ein Furcht einflößendes Ungeheuer. Ich nahm einen Schluck Whisky aus der Flasche. Meine Hände zitterten. Malzan mit Korb auf dem Gang, Malzan mit Korb im Kultraum. Er stellte den Korb in einiger Entfernung vor dem Buddha auf den Boden. Die Kerzen brannten schon, Hunderte von Kerzen.
    Malzan (zu Shiva): »Wo ist eigentlich Albin?«
    Ich hätte es ihm sagen können. Bildschirm 5, Albin in dem Lagerraum des in Konkurs gegangenen Versands, er hatte es sich auf einem Karton bei einem späten Abendbrot gemütlich gemacht, das wie ein Aal aussah. Dann sah ich, wer sein Gast war: Eine Schlange züngelte aus seinem Hemd und bediente sich aus seiner Hand.
    Shiva: »Er geistert irgendwo herum. Das tut er doch immer.«
    Malzan: »Morgen bekommst du Besuch, Prinzessin. Der Mann, von dem ich dir erzählt habe.«
    Shiva (nahe): »Jetzt nicht. Bitte. Ich mach alles, was du willst, wenn du heute Nacht hier bleibst.«
    Malzan: »Alles?«
    Shiva: »Alles.«
    Malzan: »Ich hole ihn jetzt.«
    Ich checkte noch einmal die Walther und das Aufnahmegerät und versicherte mich, daß Jade von der Tür aus nicht zu sehen war. Alles, was Malzan sah, war ich – und die Kanone.
    »Ich kann es schon gar nicht mehr abwarten, Prinz Malzan«, sagte ich und zeigte sie ihm und sah zu, wie über sein Lächeln langsam der Frost kam und über seine Augen Eisblumen. So, Harder, hörte ich den Alten sagen: Ab geht er.

35
    »Du gehst jetzt schön langsam voran, Malzan«, flüsterte ich. Ich war fast schon so heiser wie Albin. Vielleicht eine Berufskrankheit. »Und wenn du eine falsche Bewegung machst, puste ich dir das Hirn weg.«
    »Du doch nicht, Harder.« Er machte einen Schritt auf mich zu. »Du bist doch jetzt mein Schreiber.«
    »Glaubst du?«
    In dem engen Gang klang der Schuß wie ein Artillerieeinschlag. Die Kugel schlug knapp über Malzans Kopf in der Decke ein. Staub rieselte. Es roch nach Kordit. Alles echt. Einen Augenblick waren wir beide betäubt. Dann drehte Malzan sich um und machte sich auf den Weg in den Kultraum. Komisch, wie vorsichtig man Fuß vor Fuß setzt, wenn im Rücken eine Knarre lauert.
    Es war 21 Uhr 23, als ich das Mädchen mit dem weißen Kleid und der Maske vor dem Gesicht fragte:
    »Bist du Miriam Schäfer-Scheunemann?«
    »Ich bin Shiva«, antwortete sie mit einer Stimme, die unnatürlich hoch klang. Sie stand regungslos vor dem Granitblock mit dem Buddha, vor ihr der Korb. Aus versteckten Lautsprechern klang leise Flötenmusik. Die Kerzen in den Kandelabern flackerten, und Weihrauchduft verbreitete sich in der Baracke.
    »Deine Mutter möchte, daß du nach Hause kommst, Miriam«, sagte ich.
    »Ich bin Shiva«, antwortete sie, »und meine Mutter ist Indira«, und sie bückte sich und hob den Deckel vom Korb und legte ihn daneben, und die

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