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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
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dran glauben mußte, hatte einen langsameren Tod. Soll ich Ihnen das Band vorspielen?«
    Sie lag regungslos da. Diesmal gab es keine Tränen. Für die hatte sie auch noch später Zeit, wenn sie merkte, daß böse Träume nur einen Wimpernschlag dauern, verglichen mit dem Leben. Ich zog Malzans Ring aus der Tasche. Auf der Fahrt hatte ich ihn vergessen, jetzt betrachtete ich ihn mir genauer. Ein blauer Lapislazuli, und auf dem schmalen goldenen Ring eine Gravur: Nora, für immer. Ich warf den Ring auf das Récamiere. Sie ließ ihn liegen. Jetzt war sie in Trance.
    »Bevor er starb, sagte Malzan noch einen Namen.«
    Sie sah mich an. »Einen Namen?«
    »Es ging doch die ganze Zeit um einen Mann, Nora. Einen Mann in Amt und Würden, der erpreßbar war. Einen Mann, von dem Sie etwas wußten, was ihn erledigen konnte. Einen Mann, der so weit nach oben gekommen war, daß er fast jeden Preis zahlen würde. Ohne Ihre Hilfe wäre Malzan nie an diesen Mann herangekommen. Ich habe diese Woche einen ganzen Vormittag das größte Zeitungsarchiv in Berlin durchforstet, und ich weiß, daß Sie diesen Mann seit zwanzig Jahren kennen. Was haben Sie gegen Myslisch in der Hand, Nora?«
    Sie stellte das leere Glas hin, nahm den Ring, steckte ihn an den Ringfinger ihrer rechten Hand, als ob er ihr Ehering wäre, und sagte, indem sie den Kopf hochwarf und über mich hinwegsah:
    »Ich habe Ihnen ganz am Anfang doch gesagt, daß Miriams Vater an allem schuld hat.«
    »Paul Scheunemann?«
    »Harald Myslisch ist Miriams Vater.«

38
    »Damals liefen die Geschäfte in Berlin nicht mehr so gut für Pinggel & Scheunemann«, erzählte Nora. Ich hatte unsere Gläser aufgefüllt, und sie hatte ihres schon wieder fast geleert. »Die großen Jahre mit dem billig verdienten Geld waren vorbei, und dann waren sie auch in einen Prozeß verwickelt.«
    »Ziegelsplittbeton«, sagte ich.
    »Sie wissen darüber Bescheid?«
    »Ich sagte ja, daß ich im Archiv war.«
    »Es war noch vor meiner Zeit, aber die Firma war nur deshalb mit einem blauen Auge davongekommen, weil einer ihrer Anwälte politischen Druck auf einen Zeugen der Anklage ausüben konnte. Er zog daraufhin seine Aussage zurück, und Pinggel & Scheunemann gerieten aus der Schußlinie. Dabei weiß ich von Paul, daß sie Ende der 50er Jahre massenhaft Häuserblocks hochgezogen haben mit diesem Trümmermörtelgemisch, wo unglaublicher Pfusch getrieben worden ist. Er hatte noch Jahre später Albträume, daß ganze Hochhäuser zusammenstürzen.«
    Sie hätte mir sicher noch gerne stundenlang von den verschiedenen Mischungsmethoden bei der Betonherstellung erzählt, aber ich hatte nicht soviel Zeit.
    »Und dieser Anwalt war Harald F. Myslisch.«
    »Er begann damals seinen politischen Aufstieg. Als er dann ins Abgeordnetenhaus gewählt wurde, kam auch Pauls Firma in Berlin wieder zum Zug. Aber als ich bei Pinggel & Scheunemann anfing, mußten wir uns ziemlich abstrampeln, wenn wir einen Auftrag nach Berlin holen wollten.«
    »Was heißt abstrampeln?«
    Ein widerwilliges Lächeln. »Man benutzte Frauen auch damals nicht nur, um die Post zu erledigen, Harder.«
    »Und dabei haben Sie dann Myslisch kennengelernt – bei diesem ›Abstrampeln‹? Den Mann auf dem Weg nach oben?«
    »Für mich war er ein großer häßlicher mittelalterlicher Mann in dunklen Anzügen mit Weste und Uhrkette, ein Mann, der mit fünfunddreißig schon wie fünfundfünfzig aussah. Eine Gruselfigur.«
    »Nur eine Gruselfigur?«
    »Nicht nur«, gab sie zu. »Eine ungeheure Kraft ging auch von ihm aus, ein unersättlicher Hunger. Und eines Abends hat er uns betrunken gemacht, und als Paul besinnungslos auf dem Sofa lag,hat er …«
    »Und da ist es dann passiert.«
    »Was?«
    »Miriam.«
    »Nein, Miriam kam später.«
    »Ach. So war das also.«
    Sie streifte mich mit einem kühlen Lächeln. »Wir waren eine ganze Zeit eng liiert. Mit Pauls Wissen.«
    »Und als Sie schwanger wurden, haben Sie Paul davon überzeugt, es wäre sein Kind?«
    »Paul wollte es abtreiben lassen.«
    »Aber Sie waren weitsichtiger.«
    Sie starrte auf den Ring an ihrem Finger. »Ein, zwei Jahre waren wir sehr eng verbunden, verstehen Sie … zu dritt … wir hatten alle drei keine Jugend gehabt … wir hatten den gleichen Hunger …«
    »Rührend.«
    »Was verstehen Sie denn davon? Nur als Myslisch dann …« Sie leerte ihr Glas, und ich füllte es auf. Sie trank. »Eines Tages kam Paul völlig verstört nach Hause. Er war alleine in Berlin gewesen und abends mit

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