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Das Schlangenschwert

Das Schlangenschwert

Titel: Das Schlangenschwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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durcheinander. »Du bist doch ein ernsthafter und selbständiger Mensch.«
    Sie kümmerte sich ziemlich um mich, aber nicht von oben herab.
    »Ist gut, ich werde mir Mühe geben«, erwiderte ich und steckte die Einkäufe in die Tüte. »Auf Wiedersehen!«
    Die Wohnung wurde mir als unfreiwilligem Emigranten von »einem Planeten, der zu einem Katastrophengebiet erklärt wurde« von der Stadtverwaltung zur Verfügung gestellt. Zur temporären unbegrenzten Nutzung. Für die Avaloner galt diese Wohnung bestimmt als klein und ärmlich, aber mir gefiel sie sehr. Sie bestand aus vier Zimmern sowie Küche und verglaster Loggia, von der aus man den Wald und den See sehen konnte. Ich hatte gehört, dass die Bewohner von Port Lance dort im Sommer gern picknicken. Jetzt war der See erstarrt und mit einer dünnen, silbernen Eisschicht bedeckt. In der Nacht spiegelt sich darauf das Mondlicht.
    Ich fuhr mit dem Fahrstuhl in den achten Stock. Manchmal nahm ich auch die Treppe – als Sport. Ich öffnete die Tür und betrat die Diele.
    Im Wohnzimmer lief der Fernseher. Ich lauschte:
    »Das ist eine Wache der Cyborg, Daimor!«
    »Gib mir Deckung!«
    Ein Plasmablaster begann zu lärmen. Nach dem charakteristischen Kälteausstoß zu urteilen, handelte es sich um die »Puma« der Armee im Dauerfeuer. Ich wartete drei Sekunden ab, aber bei der »Puma« ging die Munition immer noch nicht aus. Danach wartete ich weitere fünf Sekunden, aber der Kälteausstoß hörte noch immer nicht auf und das Rohr des Blasters machte nicht den Eindruck, dass es schmelzen würde. Bei uns im Laboratorium auf der Versuchsstation hatte es kein einziges Rohr länger als zehn Sekunden überstanden.
    Ich schlüpfte aus den Schuhen, zog die Jacke aus und ging ins Wohnzimmer.
    Lion saß im Sessel und starrte auf den Bildschirm.
    »Grüß dich, Lion«, sagte ich.
    »Grüß dich, Tikkirej«, erwiderte er, ohne seinen Blick vom Bildschirm loszureißen. Dort sprangen menschliche Gestalten in schwerer Schutzkleidung herum – in der es sich eigentlich nicht besonders gut springen lässt – und beschossen eine gigantische Spinne, die wild mit den Fresswerkzeugen klapperte. Aus der Spinne stoben nach allen Seiten Fleischund Panzerfetzen, aber sie dachte nicht daran, zu sterben.
    Ich setzte mich auf die Sessellehne und beobachtete Lion.
    Mein Freund schaute konzentriert auf den Bildschirm.
    »Musst du auf die Toilette?«, fragte ich.
    »Ja«, bestätigte er nach einigem Nachdenken.
    »Dann geh, Lion. Steh jetzt auf, geh auf die Toilette und mach alles Nötige.«
    »Danke, Tikkirej.«
    Lion stand auf und ging hinaus. Ganz wie ein normaler Mensch. Stasj und ich konnten ihn nicht retten, nicht wirklich retten. Der Anschluss an den Bordcomputer hatte zwar das Programm unterbrochen, das Lion von Inej eingepflanzt worden war, aber er hatte seinen Willen verloren. Es ging ihm jetzt ungefähr so wie Keol aus der Mannschaft der Kljasma, vielleicht sogar schlimmer. Man musste ihn an alles erinnern, und das nicht, weil Lion vergaß, sich zu waschen oder zu essen, sondern weil er keinen Sinn in diesen Handlungen sah. Er hatte zu nichts Lust.
    Aber das Schlimmste war, dass er alles verstand. Und irgendwo in der Tiefe der Seele quälte er sich deswegen.
    Lion kehrte zurück und setzte sich wieder in den Sessel. Als ob ich nicht im Zimmer wäre. Das Einzige, was er nach wie vor gern machte, war fernsehen. Bei den Modulen ist es genauso.
    »Hast du gegessen, Lion?«, erkundigte ich mich ohne Hintergedanken.
    »Ja.«
    Ich sprang von der Lehne herunter und schaute ihm in die Augen. Er schien nicht zu schwindeln.
    »Wirklich? Du hast gegessen, ehrlich? Du wolltest essen?«
    »Ehrlich, ich habe gegessen«, antwortete Lion. »Ich wollte.«
    Ging es etwa so schnell?
    Jeder sagte mir, dass sich Lion früher oder später erholen und wie früher sein würde. Das Gehirn, besonders das jugendliche, wäre ein flexibles System und der Wille würde zurückkehren. Zuerst bei den elementarsten Bedürfnissen, den »vitalen«, wie sich der Arzt ausgedrückt hatte. Danach vollständig. Aber niemand hatte erwartet, dass es so bald passieren würde.
    »Lion«, flüsterte ich, »hör mal, was bin ich froh! Du bist ein Prachtkerl, Lion!«
    Er erwiderte nichts, denn ich hatte ihm ja keine Frage gestellt.
    »Vielleicht hast du auch noch abgewaschen?«, wollte ich wissen, um ihn zum Reden zu bringen.
    »Nadja hat abgewaschen«, erwiderte Lion bereitwillig.
    Und meine ganze Freude verschwand ins Nichts.
    »Also

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