Das Schlangental - Neal Carey 3
Menschen – ein Schmerzensschrei, der anstieg und dann in der weiten Stille der Großen Einsamkeit verklang.
3
Neal parkte vor dem leicht erhöhten hölzernen Bürgersteig der Hauptstraße in Virginia City, Nevada. Den Wagen, einen 1967er Chevrolet Nova, hatte er für dreihundert Dollar bei einem Gebrauchtwagenhändler in Santa Monica gekauft, und höchstwahrscheinlich hatte er noch zuviel bezahlt. Früher einmal war der Wagen silbern gewesen; jetzt war er von einem dumpfen grau und rostverziert. Auf der Fahrerseite war der Türgriff innen abgerissen, deshalb schloß er die Tür, indem er zwei Finger in das Loch steckte und so kräftig zog, wie er konnte. Die Polster waren zerschlissen, durch die kleinen Löcher im Boden konnte man die Straße im Auge behalten, und die Klimaanlage war ein Relikt aus vergangenen Tagen. Der Wagen eierte bei 35 Meilen pro Stunde dröhnend vor sich hin und zuckte, nieste und grunzte noch gute acht Sekunden, nachdem der Motor bereits ausgeschaltet war. Wenigstens das Radio ging. War der große Motor jedoch warm, galoppierte der alte Schlitten mit achtzig Meilen pro Stunde durch den Tag.
Genau das tat Neal, nachdem er den Gebrauchtwagenhändler verlassen hatte. Er war mit Graham und Levine in Virginia City verabredet. Sie waren nach Reno geflogen und von dort aus gefahren. Aber Neal mußte den ganzen Weg fahren, weil er der Frontmann war, und das auch noch undercover, und es wäre nicht allzu prickelnd, wenn einer von Harleys Kumpeln ihn in Reno aus dem Flugzeug steigen sehen würde. Reno war eine kleine Stadt, und Virginia City war sogar noch kleiner. Harley arbeitete in einer Bar namens »Lucky Dollar«. Er war unvorsichtig geworden und hatte seinem Arbeitgeber seine Sozialversicherungsnummer bekanntgegeben. Ein echter Fehler, wenn Leute nach einem suchen. Vor allem, wenn Ed Levine zu diesen Leuten gehörte, der nicht gerade die Tendenz hatte, so etwas zu übersehen.
Die Sache sollte ganz einfach ablaufen. Neal würde McCall finden, ein bißchen über diesen Kirchenquatsch mit ihm reden, sich mit ihm anfreunden, zu ihm nach Hause eingeladen werden und ihn dann zwei freundlichen Herren – Joe Graham und Ed Levine – überantworten.
Sie wollten die alte Nummer abziehen: Zwei Autos mit getönten Scheiben würden warten. Im richtigen Augenblick würden Ed und die Schläger aus dem einen Wagen sich Harley schnappen, ihn ins Auto stopfen und mit ihm einen hübschen, langen Ausflug aufs Land machen, während Graham und Neal mit Cody in den anderen Wagen stiegen und nach Kalifornien fuhren.
Es war natürlich illegal, immerhin ging es um Körperverletzung, Kidnapping – von Harley jedenfalls – und jede Menge anderer möglicher Gesetzesübertritte. Aber außer Neal würden alle maskiert sein, die Wagen konnte man nicht zurückverfolgen, und was Neal anging, na ja, er hatte eine neue Persönlichkeit, einen falschen Kfz-Schein, und achtundvierzig Stunden später würde er in New York City sein.
Und Anne Kelley würde ihr Kind wiederhaben.
Neal war überrascht, festzustellen, daß es ihm gefiel, Auto zu fahren. Er mochte das Gefühl des Lenkrades, das ziehende Drängen des Wagens unter ihm, während er durch die Wüste östlich von L. A. fuhr, dann im Norden an der Sierra entlang, schließlich über die Berge hinweg und hinein nach Nevada. Es gefiel ihm, allein durch die Nacht zu fahren, während »Darkness at the Edge of Town« in seinen Ohren klang. Es gefiel ihm, mit dem Chevrolet im sanften Schimmer der Tankstellen zu halten, aufzutanken, sich ein bißchen Schinken, eine Handvoll Maischips und ein Stück Kuchen zu kaufen und im Weiterfahren zu essen.
Es gefiel ihm, die Straße entlang zu gondeln, die Sonne grau im Nordwesten Nevadas aufgehen zu sehen, sich ein billiges Frühstück mit fettigen Eiern, pappigem Toast und bitterem Kaffee in einem Diner am Rande der Straße zu bestellen und dann wieder auf den Highway zurückzukehren – quer durchs flache Land in Richtung der Berge westlich Renos. Er fuhr gern und war ein bißchen enttäuscht, als er schließlich vom Highway auf die kleine Straße abbiegen mußte, die in die alte Minenarbeiterstadt Virginia City führte.
Es war eine kleine Stadt. Eine breite Hauptstraße führte über einen Hügelkamm, von dem aus man die niedriger gelegenen Hügel und das weite Land im Osten sehen konnte.
Neal erreichte Virginia City am Nachmittag und machte es sich dann auf einem Barhocker bequem, von dem aus er die Straße überblicken
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