Das Schlangental - Neal Carey 3
konnte. Er trank ein paar Flaschen Bier, bis ein Kastenwagen mit getönten Scheiben und allerlei Touristenaufklebern vor der Tür hielt. Ein paar Minuten später gesellte sich langsam ein LKW dazu und hielt ebenfalls. Zwei ausgesprochen große Männer stiegen aus und marschierten in einen Coffeeshop.
Nette Geste, dachte Neal. Er suchte sich ein Restaurant in einer Seitenstraße und aß ein blutiges Steak mit Fritten, danach ein Stück Kirschkuchen. Er trödelte mit seinem Kaffee herum, bis es draußen dunkel genug war, dann ging er rüber zum Lucky Dollar Saloon and Casino. An diesem Montagabend war die Straße gottverlassen, und er konnte nur seine eigenen Schritte auf dem hölzernen Bürgersteig hören. Die weit auseinander stehenden Straßenlampen schnitten silberne Scheiben aus der Dunkelheit, und für eine Sommernacht war es recht kühl.
Das Lucky Dollar war vor allem eine Touristenfalle. Es hatte Saloon-Schwingtüren und alte Holztische. Münzspielautomaten zierten drei Wände, eine riesige Holzbar die vierte. Eine dünne alte Dame stand mit einer Plastikschachtel voller Vierteldollar in der Hand da und fütterte einen Automaten. Ein alter Mann, möglicherweise ihr Gatte, saß vor einem Blackjack-Automaten und starrte die elektronischen Karten an, als würde die Maschine gleich aufgeben und er könnte sehen, was der Geber liegen hatte. Keiner der beiden schaute auf, als Neal hereinkam.
Der Typ hinter der Bar war ungefähr fünfzig. Sein rotes Haar wurde langsam orange, seine Wangen hingen herunter. Er hatte eine Säufernase und tiefliegende blaue Augen. Seine Schultern waren breit, die Unterarme dick, und er sah nicht so aus, als brauchte er einen Aufpasser in seiner Bar.
»Am Montag kommen nicht viele Leute von außerhalb«, sagte er, als Neal sich an die Bar setzte. »Und nachts fahren sowieso die meisten Leute nach Reno. Zu ruhig hier.«
»Ich hab’s gern ruhig.«
»Was wollen Sie?«
»Scotch.«
»Hausmarke?«
»In Ordnung.«
Neal nahm seinen Drink, ließ sich einen Zehner in Vierteldollar wechseln und verlor ein Weilchen beim Video-Poker. Dann ging er wieder an die Bar, bestellte noch einen Scotch und fragte: »Hey, sagen Sie mal, ich dachte, ich könnte hier Harley McCall treffen?«
Neal war nervös. Sich heranzutasten war immer das Schwierigste an solchen Jobs, weil man nicht wußte, wem oder was man sich näherte. Wenn der Barkeeper hier sich mit Harleys Situation auskannte, oder schlimmer noch, wenn er Mitglied der Identity-Bewegung war, könnte Neal statt nützlicher Informationen auch einen Baseball-Schläger auf die Rübe bekommen.
»Er hat heute abend frei«, sagte der Barkeeper. »Woher kennen Sie Harley?«
Neal spürte den Schweiß in seinem Nacken. Ich hab’ diesen Scheiß lang nicht gemacht, dachte er. Mist. Vielleicht ist meine Verstärkung zu weit weg. Vielleicht sollte Ed jemanden zu mir rein schicken. Vielleicht kann dieser Typ hier sehen, wieviel Schiß ich hab’.
Komm jetzt. Fang nicht an, an dir zu zweifeln. Das gibt nur Ärger.
Neal grinste den Barkeeper schief an und absolvierte eines dieser »ich-weiß-nicht-ob-ich’s-erzählen-soll«-Achselzucken.
»Sie kennen ihn aus dem Knast, oder?« grinste der Barkeeper. »Von wo?«
»L. A.«
»L. A. ist ein Knast.«
»Da haben Sie recht.«
»Schuldet er Ihnen Geld oder so?«
Neal lachte. »Nee, Harley hat gesagt, wenn ich je in die Gegend komme, soll ich mal vorbeischauen, und ich war in der Gegend, also habe ich gedacht, ich schau mal vorbei.«
Soll ich was von Cody sagen? fragte sich Neal. Nein, zu früh, dann kriegt er vielleicht Angst.
»Er wohnt in dem kleinen Hotel am Nordrand der Stadt«, sagte der Barkeeper. »The Comfort Rest. Scheißname für ein Motel. Ist auch ‘n Scheißmotel. Nummer 5. Letztes Zimmer.«
»Hey, vielen Dank. Dann trink’ ich mal aus und latsch’ rüber.«
Neal zwang sich, in Ruhe sitzen zu bleiben, an seinem Whiskey zu nippen und sein Herz sich beruhigen zu lassen. War schwieriger als er gedacht hatte, wieder ins Geschäft zu kommen.
Die alte Frau am Automaten keckerte, als die Münzen in ihre Plastikschachtel klimperten. Der alte Mann sah von seinem Blackjack-Spiel auf und verfluchte ihr Glück.
Neal trank aus, winkte dem Barkeeper zum Abschied zu und ging langsam die Straße entlang zum Comfort Rest. Er sah sich nicht um, um festzustellen, ob der LKW oder der Kastenwagen ihm folgten. Er versuchte nicht mal, darauf zu hören. Er wußte, die Freunde würden die besten Fahrer und die
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