Das Schlangental - Neal Carey 3
Shelly. »Mir macht das ein bißchen Angst.«
»Vielleicht solltest du mal mit anderen Jungs ausgehen«, schlug Steve vor und duckte sich tiefer über seinen Kuchen, um dem scharfen Blick seiner Tochter auszuweichen.
»Mit was für anderen Jungs? Jory ist der einzige hier in der Gegend, der glaubt, daß es im Leben mehr gibt, als Kühe einzufangen«, entgegnete Shelly. »Außerdem liebe ich ihn.«
»Da ist natürlich was dran«, entgegnete Steve, und das Gespräch wandte sich der Wirtschaftslage zu, der Politik und den üblichen Dingen, über die Leute sprechen, wenn sie einander kennenlernen.
Und dann drehte sich das Gespräch um Neal.
Er dachte sich seine Cover-Story aus, während er sie erzählte, Stück für Stück, er gab sich schüchtern und ein bißchen peinlich berührt, bedachte aber immer die erste Regel einer guten Cover-Story: Bleib so nah bei der Wahrheit wie möglich.
Also erzählte er ihnen, daß er an der Uni in New York gewesen war, daß er sich in eine Frau verliebt hatte, die ihm das Herz gebrochen hatte, und daß er plötzlich keinen Sinn mehr im Leben gesehen hatte und einfach nur weg mußte, um nachzudenken.
Und als er bei seinem zweiten Stück Kuchen und der dritten Tasse Kaffee angelangt war, erzählte er ihnen, wie er an die Westküste geflohen war, daß er dort nicht gefunden hatte, wonach er suchte, und daß er sich dann entschieden hatte, einen billigen Wagen zu kaufen und zurück gen Osten zu fahren.
Alle Einzelteile entsprachen der Wahrheit und ergaben doch insgesamt eine Lüge. Das Geheimnis einer guten Cover-Story.
Nach dem Essen gingen sie ins Wohnzimmer. Shelly verschwand nach oben, um zu duschen und früh ins Bett zu gehen.
Neal ließ sich aufs Sofa sinken und nahm das Glas Scotch, das Steve ihm reichte. Es roch ein bißchen wie der Rauch des Kohlefeuers in einer Klosterküche. Er nippte und ließ den Scotch einen Augenblick in seinem Mund brennen, bevor er ihn schluckte. Es war, als wickelte sich ein Laken um ihn.
»Sie seh’n aus, als hätt’ man sie noch feucht kaltgemangelt«, sagte Steve zu ihm.
Neal hatte keine Ahnung, was das heißen sollte, nickte aber trotzdem. Er nahm noch einen Schluck Whiskey und zog das Laken ein bißchen enger um sich herum.
Peggy kam aus der Küche. Sie hatte einen Drink in der Hand und einen ernsten Ausdruck im Gesicht. Sie setzte sich neben Neal auf das Sofa.
»Steve und ich haben nachgedacht«, sagte sie. »Steve könnte ein bißchen Hilfe gebrauchen. Der Winter wird schneller kommen, als uns lieb ist, und wir müssen noch jede Menge Heu einlagern, solche Sachen. Möglicherweise müßten wir sowieso jemanden zu Hilfe holen, und wo Sie ohnehin schon da sind…«
»Wir können nicht viel bezahlen«, sagte Steve. »Aber sie können das Gästeschlafzimmer haben, und das Essen ist prima.«
Und die Lage auch, dachte Neal.
»Wie wäre es, wenn ich in der Hütte auf dem Berghang wohne?« fragte er.
Die Mills’ lachten.
»Das werden Sie nicht wollen«, sagte Peggy. »Erstens ist sie schmutzig. Sie ist kalt, sie ist abgelegen…«
Tja, ich werde nicht lange genug hier sein, daß es kalt wird, Mrs. Mills, und Abgelegenheit ist genau das, was ich brauche, um meine kleine Suche nach Harley und Cody McCall fortzusetzen.
»Neal möchte vielleicht gern für sich sein, Peggy«, sagte Steve.
»Dort gibt’s noch nicht mal Strom. Nur einen alten Holzofen.«
»Schon in Ordnung«, sagte Neal. »Und ich arbeite bei Ihnen für Kost und Logis und die paar Sachen, die ich sonst noch brauche. Ich hab’ zu Hause ein bißchen Geld auf der Bank, das kann ich mir herschicken lassen.«
»Sind Sie sicher?« fragte Peggy.
»Ich glaube, genau danach habe ich gesucht«, sagte Neal.
Oder jedenfalls nach so was Ähnlichem.
4
Am nächsten Morgen fuhren Steve und Neal in die Stadt, um einzukaufen.
Sie mußten nicht weit gehen; in der Stadt gab es nur einen Laden. Er hatte noch nicht mal einen Namen – die Leute nannten ihn einfach nur »Der Laden«. Selbst Evelyn Phillips nannte ihn »Der Laden«, und ihr gehörte er seit dreißig Jahren. Sie nahm an, wenn sich je ein weiterer Laden in der Stadt niederließe, mußte sie ihrem Laden einen Namen geben, aber Steve gab zu bedenken, wenn es je zu dieser unwahrscheinlichen Konstellation käme, würden die Leute wahrscheinlich Evelyns Laden »Der Laden« nennen und den anderen Laden eben »Der andere Laden«.
Evelyn gehörte außerdem das einzige Restaurant der Stadt, direkt gegenüber. Das hatte
Weitere Kostenlose Bücher