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Das Schlitzohr

Das Schlitzohr

Titel: Das Schlitzohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Schöchle
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war
Kirchengemeinderat, meine Mutter Vorsitzende der Ortsgruppe des evangelischen
Frauenbundes und meine Schwester Schriftführerin, mein Schwager weltlicher
Gemeinderat, aber in erster Linie von den evangelischen Gemeindemitgliedern
gewählt. Deshalb wurde von mir erwartet, daß ich mich am regelmäßigen
sonntäglichen Kirchgang beteiligte. Daran war ich wiederum gar nicht
interessiert, zumal mir der mit den Ämtern verbundene Aufwand an betontem
Christentum in der Seele zuwider war. Ich ließ mich deshalb nur unter der
Bedingung überreden, am Kirchgang teilzunehmen ohne ein demonstrativ
gelangweiltes Gesicht zu machen, daß der gerade zur Wiederwahl stehende
Kandidat mir einen Frühschoppen finanzierte. Das war eine Erpressung, die nur
zähneknirschend von meiner Familie akzeptiert wurde.
    Am Ende der Ferien vor dem vierten
Semester hatte mein Vater eine großartige Idee. Da er noch ziemlich viel Most
im Keller hatte, der ihm sauer zu werden drohte, erklärte er sich bereit, ein
200 Liter Faß nach Freising zu schicken, auf daß ich den ganzen Winter über
einen Haustrunk hätte und meine Studien nicht durch abendliche Wirtshausbesuche
unterbrechen mußte. Das Faß wurde zur Bahn gebracht und reiste als Frachtgut
nach Freising. Dort holte ich es mit meinen begeisterten Kommilitonen in einem
Leiterwägele ab. Wir waren nicht zu bremsen und stachen das Faß bereits am
Bahnhof an, und unsere Kehlen blieben auch auf der Fahrt zu meiner Behausung
nicht trocken, denn sämtliche Teilnehmer, etwa 80 Mann, waren mit den
verschiedensten Trinkgefäßen bewaffnet, vom Maßkrug bis zum Stiefel und
Trinkhorn. Allen Vorübergehenden wurde heftig zugeprostet, und soweit sie uns
bekannt waren, wurden sie mit einem Trunk bewirtet. Auf der Polizeiwache des
Rathauses luden wir die Ordnungshüter zu einem Versöhnungsschluck ein und
konnten von ihnen nur mit Mühe davor zurückgehalten werden, auch dem
Oberbürgermeister ein Schmollis zuzutrinken. Als wir in meinem Quartier im
Mittleren Graben angelangt waren, löste sich der Zug auf. Das Faß wurde von
einigen, die noch dazu imstande waren, auf ein vorbereitetes Faßlager im
Hausgang gesetzt. Das war nicht allzu schwer, da inzwischen die Hälfte des
Mostes ausgeschenkt war. Aber der Alkohol hatte bereits seine Wirkung getan, da
die Teilnehmer dieser Fete den Most wie das alkoholarme bayerische Lagerbier
tranken. Deshalb konnte das Fest auch nur noch im kleinsten Kreise in der
Wohnstube unserer Hausfrau seinen Fortgang nehmen. Dabei hatte ich eine ganz
besonders schlaue Idee. Auf ärztliches Anraten sollte meine Mutter zur Stärkung
ihres Nervenkostüms »Kola-Dallmann« nehmen. Da ihr aber das Zeug nicht zusagte,
blieb es liegen. Mein Vater als sparsamer Schwabe las mit Freude, daß die
Tabletten auch bei geistiger Arbeit wertvolle Hilfe leisten und schenkte mir
die ganze Packung. Ich hatte den Prospekt auch gelesen und war bei den Worten
»bei alkoholischen Exzessen« hängengeblieben. Ich legte die Beschreibung so
aus, daß man dadurch seine Trinkfestigkeit enorm steigern könne. Deshalb
schlich ich heimlich auf meine Bude und schluckte gleich eine ganze Handvoll
dieser Wunderpillen hinunter. Frohgemut griff ich wieder zum Becher und
beschloß, alle unter den Tisch zu trinken. Von Viertelstunde zu Viertelstunde
steigerte sich mein Tatendrang, nichts schien mir unmöglich. Bis ich zuletzt
mit der Faust durch eine Fensterscheibe stieß mit den Worten: »Seht her, das
macht mir gar nichts.« Als ich dann das Blut an meinen Händen sah, war ich
völlig perplex, denn ich hielt mich für unverwundbar. Kleinlaut begab ich mich
ins Bett, zutiefst über das Versagen meines Wundermittels enttäuscht.
    So ging dieses letzte Semester heiter
und unbeschwert dahin. Wegen des bevorstehenden Examens machte ich mir keine
großen Sorgen, bereitete mich auch nicht übermäßig stark darauf vor. Meine
Umgebung und ich waren deshalb gleichermaßen erstaunt, daß ich dabei trotzdem
sehr gut abschnitt. Das bestärkte mich erneut in meiner Absicht, die
Reifeprüfung nachzuholen und ein Universitätsstudium zu beginnen.
     
     
     

»Mönchlein,
Mönchlein du gehst einen schweren Gang«
     
     
    Nach dem Examen begab ich mich wieder
nach Hause nach Schussenried, betreute die umfangreichen Obstanlagen, die als
Tonreserve zur Ziegelei gehörten und die ich durch Beerenobstanlagen noch
erweitert hatte. Da in den letzten Jahren wenig an den Bäumen geschehen war,
mußte ich viel Arbeit in ihre Pflege

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