Das Schlitzohr
einen Nachweis, daß wir Physik belegt hatten, aber wir mußten trotzdem
Französisch, Englisch und Deutsch in den unteren Klassen unterrichten. Physik
lehrten wir sogar in der 7. und 8. Klasse. Das ging ganz gut, man mußte sich
eben entsprechend vorbereiten. Am meisten Spaß machte mir der
Geographieunterricht, da die Schüler, wenn man es richtig anpackte, begeistert
mitgingen. Den größten Erfolg hatte ich in den Lausbubenklassen, vor denen
meine Kollegen das Kreuz machten. Dagegen bekam ich mit den Musterklassen
keinen Kontakt.
Als ich einmal in der 8. Klasse
vertretungsweise Chemieunterricht erteilen mußte, machte ich die Sache wohl
etwas zu lustig, denn bald schlug die Freude hohe Wogen. Wir hatten alle
miteinander vergessen, daß unter uns der Physiksaal war, die Domäne des
Oberstudiendirektors. Plötzlich öffnete sich die Tür, Oberstudiendirektor
Beischer persönlich erschien und setzte sich auf eine der hinteren Bänke. Wir
bekamen alle rote Köpfe, aber da der Allgewaltige nichts sagte, fuhr ich mit
meinem Unterricht fort und erzählte die ebenso amüsante wie spannende
Geschichte, wie Alfred Nobel zur Entdeckung des Dynamits kam, zu Ende.
Anschließend stellte ich einige Fragen über den dargebotenen Lehrstoff. Als ich
festgestellt hatte, daß er trotz allem Jux von den Schülern richtig aufgenommen
worden war, führte ich die Klasse wie Zirkuspferde vor. Die Buben machten prima
mit, und nach einer Viertelstunde verließ uns der Oberstudiendirektor genauso
stillschweigend wie er gekommen war. Diese Unterrichtsstunde wurde von ihm nie
erwähnt. Lediglich als ich ihn später bat, mir ein kleines Zwischenzeugnis für
meine Bewerbung um die Leitung der Wilhelma auszustellen, stand darin unter
anderem folgender Satz: »Er verstand es, den Unterricht humorvoll zu
gestalten.« In diesem Jahr an der Wilhelmsoberrealschule hatte ich
Oberstudiendirektor Beischer in seiner väterlich gütigen Art und ob seiner
achtungheischenden Persönlichkeit schätzengelernt.
Wöchentlich zweimal hatten wir ein Seminar
über Psychologie und Pädagogik im Eberhard-Ludwig-Gymnasium. Wir gingen
gemeinsam von der Wilhelmsoberrealschule dorthin. Nun gehörte einer von uns
Referendaren der Kommunistischen Partei an, was uns weiter nicht störte, da er
nie versuchte, uns von seinen Idealen zu überzeugen. Aber es störte uns um so
mehr, daß er sein Parteiabzeichen ansteckte, sobald er die Schule verließ, und
seine vorbeigehenden Genossen mit erhobener Faust grüßte. Da die anderen sich
wohl darüber ärgerten, aber nichts sagen mochten, erbot ich mich, ihm das
abzugewöhnen.
Ich entlieh mir von einem Bundesbruder,
der Mitglied der NSdAP war, ein Parteiabzeichen und ließ mir den damals noch
ziemlich unbekannten Hitlergruß beibringen. Als wir dann wieder zum
Eberhard-Ludwig-Gymnasium starteten und der Kommunist sein Parteiabzeichen
hinter dem Revers hervorholte, heftete ich mir das Naziabzeichen an. Jedesmal
wenn er nun die geballte Faust erhob, schnellte meine Hand zum Hitlergruß nach
vorne. Man merkte deutlich, wie ihm das peinlich war, und er versuchte diskret,
sich von mir zu distanzieren. Das gelang ihm aber nicht, denn ich hing wie eine
Klette an ihm. Als wir den Rückweg antraten, war unser Kommunist verschwunden.
Bei unserer Ankunft in der Schule erklärte ich ihm, daß ich gar nicht der NSdAP
angehöre und das »Bröschle« nur entliehen hätte, um ihm zu zeigen, wie
unangenehm die Grüßerei für die anderen wäre. Deshalb würde ich ihm
vorschlagen, daß er sein »KP-Bröschle« in unserer Gegenwart genauso hinter dem
Revers ließe wie in der Schule auch.
Jeden Samstag waren wir während des
Vormittags in der Landesanstalt für Physikunterricht. Ihr Schöpfer, Professor
Wildermuth, war ein großartiger Mann. Später verband mich mit ihm eine
jahrelange Freundschaft. Er brachte uns das bei, was den jungen Akademikern am
meisten fehlt, nämlich Verständnis für eine gute handwerkliche Arbeit. Hier
lernten wir ebenso einen rechten Winkel feilen wie die Benutzung einer
Bohrmaschine, Eisensäge oder Fräse. Dazu lehrte er uns die einfachste und damit
für die Schule eindrucksvollste Art, eine Versuchsanordnung aufzubauen. Ich
hätte ohne seinen Unterricht vieles im Märchengarten in Ludwigsburg wesentlich
schlechter gemacht. So lohnten sich die Hinweise dieses inzwischen schon längst
verstorbenen Pädagogen noch oft in meinem Leben. Da diese Landesanstalt am
Rande der Wilhelma lag, kam ich des öfteren in diesen
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