Das Schlitzohr
eine Terrasse, von der aus man einen herrlichen Blick über den Schloßberg
und auf die Schwäbische Alb hatte.
Wir studierten in Tübingen in einer
äußerst fidelen Weise, wobei wir rauschenden Festen, oder was wir dafür
hielten, genausowenig aus dem Weg gingen wie ernster Arbeit. Außer den
botanischen waren es hauptsächlich die zoologischen und die chemischen
Praktika, die unsere Zeit ausfüllten. Ich hatte das Glück, mein chemisches
Praktikum im Pharmazeutensaal zu absolvieren. Hier hatte ich nicht nur zwei
Assistenten gefunden, mit denen ich mich ganz ausgezeichnet verstand, sondern
auch noch ein paar entzückende Pharmazeutinnen, die mich mindestens so stark
interessierten wie mein Lehrbuch der qualitativen Analyse.
Das Duell
Trotz unseres Arbeitseifers war uns
geistlose Streberei verhaßt, besonders allergisch reagierten wir auf
Kommilitonen mit ausgesprochenem Geltungsbedürfnis. Als sich deshalb der Fuchs
einer befreundeten Verbindung als überdimensionierter Angeber entpuppte,
beschlossen wir, ihm das gründlich auszutreiben.
Am nächsten Pauktag eröffnete ihm der
Zweitchargierte, der damit das Amt des Fechtwarts bekleidete, daß der
Zweitchargierte einer anderen Verbindung sich über ihn mokiert hätte. Aber,
fügte er tröstend hinzu, er hätte ihn in seinem Namen gleich auf schwere Säbel
gefordert. Der arme Angeber namens Benedikt erblaßte und übte in den folgenden
Tagen wie ein Toller auf dem Hauboden. Nach 14 Tagen war es dann soweit. Bleich
aber gefaßt ließ er sich bandagieren. Trotz seiner Aufregung fiel es ihm auf,
daß die zum Schutz der Augen dienende Brille mit Watte verstopft war. Als ihm
bedeutet wurde, das wäre bei Säbelpartien immer so, ließ er auch das über sich
ergehen, obwohl er dadurch nichts mehr sehen konnte. So merkte er dann auch
nicht, daß sein Säbel keine scharfe Klinge hatte und daß der Abstand von seinem
Kontrahenten viel zu weit war, als daß dieser ihn auch nur mit der äußersten
Spitze seines Säbels berühren könnte. Zum allgemeinen Gaudium annoncierte der
Unparteiische diesen eigenartigen Waffengang mit den Worten: »Silentium für
eine Embryonenpartie ersten Ranges.« Selbst da merkte der wackere Kämpfer in
seiner Aufregung noch nichts. Er fuchtelte auf »Los« verzweifelt mit seinem
Säbel. Hinter ihm standen zwei Studenten, der eine war mit einem großen
Kochlöffel bewaffnet, den er von Zeit zu Zeit mit aller Kraft auf das Haupt des
Opfers schlug, der andere drückte einen blutigen, mit warmem Wasser getränkten
Schwamm über dem Kopf des wackeren Streiters aus. Der Paukant glaubte
natürlich, daß ihm das Blut in wahren Strömen aus vielen Wunden lief. Er atmete
deshalb sichtlich auf, als das grausame Morden zu Ende war und er sich in die
Hände des Arztes begeben konnte. Dieser, ein älteres Medizinsemester, rasierte
ihm ein paar kräftige Streifen in seine Haarpracht und nähte ihm ein paar
Hosenknöpfe auf seine Locken. Dann bekam der Patient einen schönen Wickelkopf,
der stramm anlag, damit er auch ordentlich auf die Knöpfe drückte. Stolz
schritt der Bene, wie wir ihn nannten, in den Paukraum, wo inzwischen die
Bestimmungsmensuren begonnen hatten, und genoß die scheinheiligen Komplimente
von Freund und Feind. Auf der anschließenden Kneipe fühlte er sich als
Mittelpunkt der ganzen Gesellschaft, und wenn jemand seinen Wickelkopf
berührte, damit die Knöpfe auch richtig drückten, rief er in bestem Stuttgarter
Honoratiorenschwäbisch: »Bleib fei vo meine Schmiß weg!« Am nächsten Tag fuhr
er sofort nach Stuttgart, um seine Gaisburger Landsleute, insbesondere die
Schönen dieses Stadtviertels, mit seinem Heldenmut zu beeindrucken.
Soweit war nun alles gut, aber
allmählich mußte die Stunde der Wahrheit kommen. Der Bene konnte ja nicht ewig
seinen Wickelkopf über den Hosenknöpfen tragen. Dieses Problem wurde nach
studentischer Tradition gelöst. Bei der nächsten Kneipe wurde er von uns
gründlich mit Bier »abgefüllt«, und in dieser gehobenen Stimmung war er damit
einverstanden, daß der Wickelkopf abgenommen wurde. Als er seine Schmisse
betrachten wollte und nur ein paar Hosenknöpfe in der gelichteten Lockenpracht
sah, erfaßte ihn das heulende Elend, und es bedurfte der ganzen
Überredungskunst seiner Freunde, ihn davon abzuhalten, sein Austrittsgesuch aus
der Verbindung zu schreiben. Das war eine harte Kur, aber ihr Zweck war
erreicht. Der gute Bene war von da an kein Angeber mehr, sondern ein
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