Das Schlitzohr
minderwertige
Kleksographie an die Tafel zu zaubern. Verzweifelt zermarterte ich mein Hirn.
Die erlösende Idee kam mir, als er bei einem Vortrag vor der Gesellschaft für
Vaterländische Naturkunde die Bemerkung machte: »Bei der Geologie sollte man
viel mehr mit dreidimensionalen Modellen arbeiten.« Während ich sonst nach
Vorträgen ein fröhliches Beisammensein sehr zu schätzen wußte, stürzte ich mich
an diesem Abend in die Stammkneipe eines mir befreundeten Bildhauers. Zum Glück
erwischte ich ihn und zwang ihn fast mit Brachialgewalt, mir auf der Stelle in
seinem Atelier zu zeigen, wie man aus einem Tonblock ein Bergmassiv mit dem
Modelliermesser herausschneidet. Da wir uns gut verstanden, ging er auf meinen
Wunsch ein. Ich ließ mich ein paar Tage in der Wilhelma beurlauben und knetete
und modellierte wie ein Besessener drauflos. Bald konnte ich die Formen eines
Gebirgszuges in etwa fünf Minuten aus einem Tonblock herausschneiden, und die
Lehrprobe schien mir gesichert. In der Unterrichtsstunde erläuterte ich dann
den Schülern zuerst anhand von Schautafeln den Vorgang der Alpenfaltung. Danach
erklärte ich ihnen dieses geologische Problem an einem Modell. Zu diesem Zwecke
hatte ich verschiedenfarbige Plastilinschichten auf Seidenpapierstreifen
aufgetragen, die ich wie die Ablagerungen der einzelnen Erdzeitalter
übereinanderlegte und so gegeneinander verschob und auffaltete, wie es vor
Jahrmillionen mit den Alpen geschehen war. Die Haupt- und Seitentäler der
Flüsse schnitt ich mit dem Modelliermesser aus dem Plastilinblock heraus. Zum
Entzücken des Professors waren in kürzester Zeit die Struktur des
Gebirgsmassivs und auch die geologischen Schichten in ihrer neuen Lage deutlich
sichtbar. Damit hatte ich bei ihm gewonnen, er war mir von Stund an sehr
geneigt, und der Schwanz war natürlich auch beseitigt.
Der Amtsschimmel
wiehert
Am 1. Mai 1933 trat ich meine Stellung
als Leiter der Wilhelma an. Damit kam ich in einen Bereich, der vom Typ des
Hofschranzen geprägt war. Das beliebte Gesellschaftsspiel hieß Intrige, und
demzufolge intrigierte und konspirierte jeder gegen jeden. So war 1926 der
damalige Direktor der württembergischen Staatsgärten unschönen Machenschaften
zum Opfer gefallen, und meinen Vorgänger als Leiter der Wilhelma hätte eine
solche Gemeinheit beinahe die Pension gekostet. Ich freute mich, als es mir
gelang, die Unwahrheit der gegen ihn gerichteten Behauptungen nachzuweisen.
Es dauerte dann auch nicht lange, bis
gegen mich die ersten Intrigen gesponnen wurden. Wenn im Laufe des Frühjahrs
die Azaleen, Kamelien und zahlreiche andere Pflanzen aus den Gewächshäusern ins
Freie gebracht wurden, machten diese Gewächshäuser einen so traurigen Eindruck,
daß es nicht verwunderlich war, daß die Wilhelma keine Besucher hatte. Wer
sollte auch so töricht sein und Geld und Zeit opfern, um unschöne, ausgeräumte
Gewächshäuser zu »bewundern«. Deshalb faßte ich den Plan, in der Zeit des deutschen
Turnfestes in der Wilhelma eine Blumenausstellung durch die württembergischen
Gärtner zu veranstalten. Das durfte ich natürlich nicht ohne Genehmigung der
Vorgesetzten Dienststelle. Diese war das Staatsrentamt Stuttgart, das
seinerseits der Bauabteilung des Finanzministeriums unterstand. Ich
unterbreitete also meinen Vorschlag einem alten Hofrat, der im Staatsrentamt
als Referent für die Gärten zuständig war. Nach kurzer Rücksprache mit dem
Schloßgarteninspektor begrub er, wie zu erwarten war, den Plan in den Akten.
Nun hätte ich eigentlich resignieren
sollen, aber das tat ich nicht, sondern teilte mein Vorhaben einem Gönner,
Forstmeister Feucht, mit, der es dem Finanzministerium zur Kenntnis brachte.
Den Beamten der Bauabteilung leuchtete es ein, und das Staatsrentamt wurde
angewiesen, meinen Plan vorzulegen. Daß ich mir dadurch den Hofrat nicht zum
Freund gemacht hatte, versteht sich von selbst. Es begann dann auch eine
Verzögerungs- und Hinhaltetaktik mit allen kameralistischen Spielregeln und
Kniffen. Da ich etwas Derartiges schon ahnte, nahm ich auf eigene Verantwortung
die Verhandlungen mit einer Anzahl führender Gärtnereien des Landes auf. Sie
waren alle bereit, an dieser Ausstellung teilzunehmen. So war alles bereits fix
und fertig, als eine Woche vor Beginn der Ausstellung endlich die Genehmigung
dazu kam. Zum Glück hatte ich auch ein Plakat vorbereitet, es mußte nur noch
der Druckauftrag erteilt werden, was ich ohne weitere Rückfragen
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