Das Schloß der blauen Vögel
einer ein paar Tropfen Flüssigkeit auf seinen Handrücken und schnupperte daran. Es roch nach nichts.
»Was ist das?« fragte Kamphusen. »Was injizieren Sie da?«
Poldi schwieg. Kamphusen legte die Spritzen auf den Tisch und gab Wachsner eine kräftige Ohrfeige. Der Kopf des Krankenpflegers schlug gegen die Wand. Es gab einen dumpfen Laut.
»Was ist das hier?« brüllte Kamphusen. »Mach den Mund auf, du Miststück! Warum tust du das?«
Leopold Wachsner schwieg verbissen. Über Kamphusens Gesicht zog die Röte unbändigen Zorns.
»Deinetwegen muß ich mich schief ansehen lassen!« schrie er. »Ich weiß, daß Doktor Keller mich verdächtigt, und ich mußte es ertragen! Mach den Mund auf, Kerl! Warum tust du das?«
Poldi schwieg weiter. Auch als Kamphusen, zitternd vor Wut, auf ihn eindrosch, schützte er nur mit den Unterarmen sein Gesicht und ließ die Schläge auf sich niederprasseln.
»Gut denn«, keuchte Kamphusen außer Atem. »Machen wir es anders! Mitkommen!«
Er riß Poldi an den Aufschlägen des weißen Arztmantels hoch, schleppte ihn über den Gang und blieb vor Zimmer 11 stehen. Hier erst – wer kannte im Haus Zimmer 11 nicht! – wehrte sich Wachsner verzweifelt.
»Nicht da hinein!« ächzte er. »Nicht! Lassen Sie mich los.«
Kamphusen brach den Widerstand, indem er erneut gegen die Leber schlug. Leopold Wachsner sank zusammen, aber in letzter Verzweiflung versuchte er noch zu entkommen. Es war zwecklos. Kamphusen ergriff ihn am Kragen, schleppte ihn in die gepolsterte Zelle, warf ihn neben das Bett des tobenden Reinhold Webster und verließ schnell das Zimmer. Es hatte von innen keine Klinken. Nur von außen war es zu öffnen mit einem Spezialsteckschlüssel, den nur die Stationsschwester und die Ärzte besaßen.
Gegen Mittag des nächsten Tages kehrte Professor Dorian zurück. Er fand Hohenschwandt in heller Aufregung vor. Seine Ärzte erwarteten ihn im Kasino. Schon an der Pforte hatte Dorian erfahren, was geschehen war. Der Portier Zanglmeier war ihm entgegengelaufen.
»Herr Professor!« schrie Zanglmeier sofort. »Wir hab'n ihn, dös Luada! Der Poldi ist's! Sakra, i möcht ihm alle Knocha brech'n …«
Professor Dorian stürmte in seine Klinik. Angela hatte Mühe, ihm zu folgen. Sie war mitgefahren, während Dr. Keller noch in Stuttgart bei Luise Sassner blieb. Kellers Erlebnis, wie er Dorian vor dem Bild seiner Frau stehen und mit ihr sprechen sah, hatte Angela mehr erschüttert, als sie zugeben wollte. Wenn Mutter noch lebte, hätte sie Vater verlassen? Sie haßte Hohenschwandt, aber hätte sie ihren Mann allein gelassen? Als sich Angela diese Fragen stellte, hatte sie sich geschämt. Bei Dorians Abfahrt saß sie plötzlich neben ihm, und Dorian fragte seine Tochter nicht. Er lächelte sie nur an. Ein fast wehes Lächeln. Die erschütternde Grimasse eines Einsamen.
»Was ist los?« fragte Dorian, als er im Kasino seinen Ärzten und den Stationsschwestern gegenüberstand. Seine Stimme war hell und scharf wie in alten Tagen. Die ›Trompete des Chefs‹, wie man sie in Hohenschwandt nannte. »Schon an der Pforte spielt man verrückt. Der Zanglmeier ist außer sich! Was ist geschehen?«
Dr. Kamphusen trat vor. Es war fast wie beim Militär: Meldung an den Chef. Selbst die stramme Haltung fehlte nicht.
»Ich habe den Mann, Herr Professor, der nachts die verhängnisvollen Injektionen gegeben hat. Ich konnte ihn heute morgen gegen zwei Uhr überwältigen.«
Dorian sah seinen zweiten Oberarzt Kamphusen verdutzt an.
»Sie haben jemand überwältigt, Kamphusen?«
»Ja. Ich wundere mich selbst, Herr Professor.« Kamphusen atmete schwer.
»Wer ist es?«
»Leopold Wachsner, Herr Professor.«
»Poldi?« Dorian nahm seine Brille ab und putzte sie. Sie war plötzlich beschlagen. »Wissen Sie das genau?«
»Ich habe zwei Spritzenkästen sichergestellt, die er in seinem Kittel trug. Ich überraschte ihn bei Lureck auf Zimmer siebzehn.«
»Was wollten Sie denn da so früh am Morgen?«
»Ich war auf dem Weg zu Station II. Frau Eisenreich unterhielt sich wieder mit ihrem Marquis.«
Dorian lächelte schwach. »Da sehen Sie, meine Damen und Herren, daß auch sexueller Wahn seine guten Seiten hat.«
Niemand lachte, Dorian erwartete es auch nicht. Aber die gedrückte Stimmung hob sich doch etwas.
»Wo ist Poldi jetzt?« fragte Dorian.
»Auf Zimmer elf.«
»Oho! Sie haben einen schwarzen Humor, Kamphusen. Eine völlig neue Seite an Ihnen!« Dorian überblickte seine Ärzte. Ob sie mich
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