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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zuckte zusammen. Er war mit seinen Gedanken weit weg gewesen. Er suchte in der Erinnerung, was geschehen sein konnte.
    Gestern, dachte er, spielte ich noch mit Dorle und Andreas im Wald Verstecken. Dann machten wir eine Kutschfahrt durch die verträumten Täler des Schwarzwaldes. Als wir nach Hause kamen, war der Tisch gedeckt. Eine Schinkenplatte … er sah sie noch so plastisch vor sich, als sei sie gerade aufgetragen worden. Er hatte den Duft des schwarzgeräucherten Schinkens noch in der Nase. Dazu gab es Ruländer Weißherbst, einen Wein, den er zu gern trank.
    Und dann?
    Hier hörte die Erinnerung auf, wie abgeschnitten. Während er sich wusch und das kalte Wasser über seinen Nacken perlte, bohrte er verzweifelt in dem Dunkel, das die weiteren Stunden einhüllte.
    Wer ist dieses ordinäre Mädchen, dachte er. Zugegeben, sie hat einen phantastischen Körper. Ihre brandroten Haare sind einmalig. Im Krieg, an der Atlantikküste, wo er als Fahnenjunker sechs Wochen zur Ausbildung lag, gab es eine kleine Bar, ein umgebauter Pferdestall. Dort hatte er, kurz vor seiner Abkommandierung nach Rußland, eine Tänzerin kennengelernt. Auch sie hatte brandrote Haare und eine schimmernde weiße Haut, lange Beine und für seine damaligen Begriffe unwahrscheinlich feste und schwellende Brüste. Janine hieß sie. Sie war schon dreißig Jahre alt, und sie war seine erste Liebe. Sie lehrte ihn, was eine Frau in der Liebe vermag, und er, der kleine, blutjunge Fähnrich, hatte nach dieser Nacht das Gefühl, mitten durchzubrechen. Ihm war übel, und zugleich fühlte er sich glückselig.
    Und nun lag wieder ein rothaariges Frauenzimmer im Bett, mit einer Haut wie schimmerndes Perlmutt, mit schlanken Beinen und jener sexuellen Ausstrahlung, gegen die der Wille eines Mannes ein Schweißtropfen ist, den die Sonne aufsaugt.
    Wie komme ich hierher? grübelte Sassner, als er sich abtrocknete. Mein Gott, was wird Luise sagen? Welche Erklärungen soll ich abgeben? Ich weiß doch von gar nichts … mir fehlen ein paar Stunden im Gedächtnis. Ich bin wie durch einen dunklen Tunnel gegangen, und jetzt steht dieses nackte rothaarige Weib vor mir. Wird mir das jemand glauben?
    Ilse Trapps aalte sich in dem zerwühlten Bett, hatte sich herumgeworfen und tupfte mit den Füßen gegen die Wand.
    »Warum ziehst du dich an?« fragte sie. »Hast du etwas Besseres vor, als mit mir im Bett zu liegen? Der Tag ist langweilig, nur im Bett ist er zu ertragen. Komm, leg die neue Masche ab, großer Boss. Ich bin sehr dafür, daß wir frühstücken …«
    Sie breitete Arme und Beine aus und lag da in unwiderstehlicher Offenheit. Aber Sassner ging wortlos zum Fenster und sah hinaus.
    Eine völlig fremde Gegend. Zwar auch hohe Tannen, Schwarzwaldluft, blauer Spätsommerhimmel – aber ein Haus, das er nicht kannte. Bis auf das Zwitschern der Vögel und das rauhe, kehlige Krächzen der Krähen, die das Türmchen auf dem Hausdach umkreisten, umgab ihn Stille. Im Haus schien noch alles zu schlafen. Der Hof, auf den er hinunterblickte, war kahl, merkwürdig tot, wie von Menschen seit langem nicht betreten. Die Stalltüren verriegelt; auch von dort kein Laut.
    Sassner fuhr herum. »Wo bin ich hier?«
    Ilse Trapps winkelte die gespreizten Beine etwas an. Es sah unbeschreiblich ordinär aus.
    »Bitte, wie du willst, großer Boss! Der große Arzt befindet sich im Schloß der blauen Vögel.«
    »Wo?« fragte Sassner betroffen.
    »Du meine Güte!« Ilse winkte mit beiden Armen. »Komm her zu mir! Das Frühstück, Schatz!«
    »Wer sind Sie?«
    »Schwester Teufelchen.«
    »Wie komme ich hier heraus?«
    »Durch die Tür, dann die Treppe hinunter.« Ilse Trapps strampelte wieder mit den Beinen in der Luft. Ihr schien diese Akrobatik zu gefallen. »Wenn der Herr Casanova seiner Marquise de Pompadour von unten eine Flasche Orangensaft mitbringt, wird die Marquise besonders lieb sein. Liebe macht durstig.«
    Sassner wich zur Tür zurück. »Casanova ist nie mit der Pompadour zusammengetroffen«, sagte er mit belegter Stimme. »Adieu.«
    »Vergiß nicht den Orangensaft, Schatz.«
    Taumelnd verließ Sassner das fremde Schlafzimmer, noch immer auf der Suche nach seiner Erinnerung. Er stolperte die schmale Treppe hinunter, stieß sich im Halbdunkel an einem Tisch und erkannte zu seiner größten Verblüffung, daß er sich in einem Gastraum befand. Die Stühle waren auf die Tische gestellt und angestaubt. Staub lag auch auf der Theke, den Flaschen, den Gläsern in den Regalen.
    Wo bin

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