Das Schloß der blauen Vögel
Kaffee, aßen jeder zwei Brotschnitten und die gebackenen Eier mit Schinkenspeck. Es war ein stummes Frühstück, und Luise würgte an jedem Bissen.
»Ich sehe nach meinen Modellen«, sagte er nach gut einer Stunde. Er meinte damit seine Krähen, seine blauen Vögel, deren Flug er fasziniert beobachtete und mit denen er sprach wie mit Menschen. »Wenn etwas Besonderes ist, rufen Sie mich, Schwester.«
Luise zog sich an, als Sassner das Schlafzimmer verlassen hatte, trug das Tablett hinunter in die Gastwirtschaft und stellte es in die Küche. Sie spülte das Geschirr und hatte eine merkwürdige Unruhe in sich. Immer wieder lauschte sie nach oben zum Turm, aber dort war Ruhe.
Um zwei Uhr mittags polterte Sassner die Stiege herunter. Sein Gesicht war bleich und verzerrt.
»Kommen Sie mit«, keuchte er. »Kommen Sie sofort mit!« Er riß Luise an der Hand vom Herd und zerrte sie die Leiter hinauf ins enge Turmzimmer. Dort waren alle Fensterchen offen, der Wind raste durch den Raum, Papiere, vollgezeichnet mit Kreisen und Winkeln, wirbelten im Durchzug.
Sassner drückte Luise an eins der Fenster und zeigte über ihre Schulter hinaus auf den Wald. Sein Atem wurde zu einem stöhnenden Stakkato.
»Da sind sie«, flüsterte er in Luises Ohr. »Ich habe sie vorbeifahren sehen. Überall sind sie. Im Wald rund um das Schloß sitzen sie, wie die Wölfe damals in Nowo Kranitzkij, wir hörten sie, wir sahen ihre Schatten, aber sie wagten sich nicht heran, weil wir an den Feuern saßen. Da … und da … sehen Sie die Bestien?«
Luise starrte hinaus in den Wald. Sie sah nichts, aber sie wußte, was Sassner gesehen hatte. Trotzdem fragte sie:
»Wer soll da versteckt sein?«
»Die Wölfe der Ignoranz!« Sassner lehnte sich an die Wand. Er schwankte stark. »Ich habe Feinde, viele Feinde. Die Größe hat überall Feinde. Aber ein Genie muß durch einen Sumpf gehen können, ohne sich zu beschmutzen. Erst so zeigt es sich, ob es ein wirkliches Genie ist. Ich habe im Gehirn die Dummheit gefunden und ausgewaschen. Ich habe das verderbliche Gas aus den Hirnwindungen gelassen, ich habe Frieden in die Menschen gesenkt. Aber wer will das denn? Frieden! Dort kommen sie heran, meine Feinde, die Ignoranten meiner Kunst, und wollen mich vernichten! Vernichten! Vernichten!« Er schlug mit den Fäusten gegen die Mauer und brüllte wie ein angeschossener Bär. »Aber es wird ihnen ergehen wie den Wölfen! Ich werde sie verjagen durch Feuer und Brand. Ich werde ihre Felle versengen und ihre Mäuler in die Glut tauchen. Ich werde eine Fackel entzünden, deren Glut den Himmel reinigt! Da – sehen Sie! Wie sie es eilig haben.«
Über die Straße vor dem Haus raste ein weißgestrichener Polizei-Porsche. Er brachte Tränengasgeschosse zu Kriminalrat Quandt, der dreißig Meter weiter im Wald auf die Funkmeldungen wartete, daß der Kreis geschlossen sei.
Luise sah dem weißen Wagen nach, der nach wenigen Sekunden aus dem Blickfeld verschwand. Es konnte ein Zufall sein, daß hier ein Polizeiwagen vorbeifuhr, aber ihr Gefühl sagte ihr, daß die letzten Minuten mit Gerd begonnen hatten. Was er beobachtet hatte, war nicht mehr zu erfahren. Sassner heulte wie ein junger Wolf vor sich hin, aber als Luise das Turmzimmer verlassen wollte, griff er nach ihr und hielt sie fest. Seine Hände waren wie Eisenklammern.
»Ein Feuer …« sagte er dumpf. »Ein Feuer … Ich werde mein Schloß anzünden!« Luise wollte sich losreißen, aber seine ungeheure Kraft war nicht zu überwältigen. Er drückte sie mit beiden Händen auf den Boden und hielt sie so fest. Seine Finger lagen gefährlich nah an ihrem Hals.
»Und die Kranken?« rief sie.
»Die Flamme läutert!« Sassners Hals reckte sich. Er konnte hinaus auf den Wald schauen. Vor wenigen Minuten hatte er Quandts Wagen vorbeifahren sehen, dann bemerkte er Uniformen in der Dämmerung des Waldes. Er spürte die Unruhe um sich herum. Wie ein Raubtier witterte er die Gefahr, sog den Geruch von Menschen in sich ein.
»Und wir?« schrie Luise. »Und wir? Gerd!«
»Wer ist Gerd?« fragte Sassner und starrte Luise an.
»Du! Erinnere dich. Deine Kinder … deine Frau … Rehlein …«
»Rehlein?« Sassner stieß mit der Stirn gegen die Mauer. »Es ist weg …« stammelte er. »Alles weg … es flog in den Himmel und löste sich auf im Blau. Alles ist leer … leer … Ich rufe … Hallo! Hallo! … und es schallt wider. Leer alles! Die ganze Welt ist ein Hohlgefäß, in das Gott die Leere geschüttet hat!« Er
Weitere Kostenlose Bücher