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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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reckte wieder den Hals und sah die Kette der Polizisten langsam auf das Haus zukommen. Kriminalrat Quandt hatte zum Angriff befohlen.
    Es war nachmittags drei Uhr und neunzehn Minuten.
    »Sie kommen!« heulte Sassner und riß Luise an den Haaren empor. »Sie kommen! Das Feuer muß lodern! Die Wölfe greifen an …«
    Er stieß Luise die Leiter hinunter, holte sie auf der Treppe ein, als sie weglaufen wollte, und warf sie mit einem Hieb zu Boden. Dann wuchtete er sie über die Schultern und rannte in das Zimmer, dessen Fenster zum Vorplatz und zur Straße führten. Mit vier ungeheuren Faustschlägen zertrümmerte er die Bretter der Fensterläden und steckte den Kopf durch das gezackte Loch. Unter ihm, vor der Tür, stand Ulrich Quandt, eine Pistole in der Hand. Vier Polizisten waren gerade damit beschäftigt, einen Baumstamm als Rammbock in Stellung zu bringen.
    »Halt!« schrie Quandt, als er Sassner zwischen den zersplitterten Brettern sah. »Halt!« Die Polizisten, die gerade zum Anlauf angesetzt hatten, ließen den Baumstamm sinken. Ulrich Quandt trat etwas zurück, um Sassner besser sehen zu können. Er ist es wirklich, dachte er, als er den struppigen Schädel erkannte. Auf den Fotos sieht er zwar gepflegter aus, aber man hätte ihn erkennen müssen, wenn er irgendwo aufgetaucht wäre. »Machen Sie die Tür auf!« rief er zu dem Loch im Fensterladen hinauf.
    Sassner zog den Kopf zurück, hieb noch viermal gegen die Läden und brach die letzten Bretter heraus. Nur der eiserne Riegel, von Wand zu Wand gehend, blieb stehen und trennte das Fenster in zwei Hälften.
    »Was wollen Sie?« fragte er hoheitsvoll. Mit Schrecken sahen Quandt und die Polizisten die ohnmächtige Frauengestalt über Sassners Schulter. Es konnte nur Luise Sassner sein, wenn nicht noch andere Personen in diesem Haus lagen, gefesselt in den Betten oder bereits zerstückelt. Zwar waren im Vermißtendezernat keinerlei neue Meldungen eingegangen, aber was wußte man in Stuttgart oder Freiburg, ob in Braunschweig eine Frau vermißt wurde oder in Flensburg ein Mann? Wenn Sassner gestern nacht auf der Autobahn neue Opfer geholt hatte, dann lagen frühestens in zwei Tagen die ersten bundesdeutschen Fahndungsersuchen vor.
    Ulrich Quandt verlegte sich aufs Verhandeln. Die Frau auf Sassners Rücken war ihm Warnung genug.
    »Machen Sie auf!« rief er.
    Sassner ließ Luise zu Boden sinken und trat ans Fenster. »Ich weiß, was Sie wollen! Der Fortschritt ist schneller als Ihr Denken! Das stört Sie! Aber ich sage Ihnen: Sie stören mich! Lassen Sie mich in Ruhe.«
    Vom Wald kamen sechs Polizisten mit Tränengasgewehren. Im Hof versammelten sich zehn Beamte. Kriminalrat Quandt wischte sich den Schweiß von der Stirn. Bei ihm allein lag jetzt alle Verantwortung. Bevor die Polizei in das Haus eindringen konnte, hatte Sassner Zeit, in den Zimmern Amok zu laufen und blindlings zu töten. Oder aber er tat gar nichts. Konnte man sich auf dieses Risiko einlassen? Vor allem aber: Wo war Luise Sassner?
    »Sind Sie mit der Frau, die Sie eben auf der Schulter hatten, allein?« fragte Quandt gepreßt.
    »Nein!« schrie Sassner hinunter.
    »Sie haben noch mehr im Haus?«
    »Meine Klinik ist voll belegt!«
    »Mein Gott!« Quandt wandte sich zu dem Polizeikommissar um, der den Einsatz der uniformierten Polizei befehligte. »Wir müssen verhandeln«, sagte er leise. »So ungeheuerlich es ist … wir müssen mit ihm diskutieren, um weitere Opfer zu vermeiden. Selbst wenn Ihre Leute nur drei Minuten brauchten, um ins Haus zu kommen … in drei Minuten kann er sechs Menschen umbringen. Wollen wir dieses Risiko übernehmen?«
    »Man sollte ihn abschießen!« sagte der Oberkommissar mit knirschenden Zähnen. »Ein gezielter Schuß – und alles ist zu Ende!«
    »Nein, dann fängt es erst an!« Quandt atmete laut. »Sie kennen doch unsere Justiz! Da Sassner nicht zuerst geschossen hat, werden Sie hinter Gitter wandern. Sie werden niemals Notwehr angeben können! Also müssen wir mit ihm reden …« Quandt wandte sich wieder zum Haus. Sassner lehnte am Fenster, sein Gesicht war wie eine bleiche Scheibe. »Solange er redet, tut er nichts … das ist unsere Chance.«
    Quandt trat einen kleinen Schritt vor. Sassner kam ihm entgegen, indem er sich vorbeugte. Sein weißer Arztkittel leuchtete jetzt im Sonnenlicht.
    »Hören Sie, Sassner«, sagte Ulrich Quandt gefaßt, »ich mache Ihnen einen Vorschlag: Sie öffnen die Tür, und wir unterhalten uns in aller Ruhe über Ihre

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