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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und elf stehen an der Zufahrt zur Autobahn.«
    »Dann los, meine Herren!« Quandt fühlte, wie sich seine Handflächen mit Schweiß bedeckten. »Holen wir Gerd Sassner heraus. Es darf im Notfall auch geschossen werden …«

13
    Im Schloß der blauen Vögel hatten die letzten verzweifelten Stunden begonnen.
    Die Flucht Ilse Trapps' hatte Gerd Sassner ruhiger aufgenommen, als Luise erwartet hatte. Er tobte nicht, er weinte nicht, er zeigte überhaupt keinerlei Regungen. Langsam tappte er durch das leere, düstere Haus mit den geschlossenen Fensterläden, eine Petroleumlampe in der Hand, bekleidet mit seinem weißen Arztmantel, den weißen OP-Hosen und den weißen Schuhen. Ab und zu blieb er vor seinen an der Wand gezeichneten Kreideumrissen stehen und nickte zufrieden.
    »Die Klinik ist voll belegt«, sagte er dann mit deutlichem Stolz. »Es hat sich herumgesprochen, daß hier eine neue Menschenrasse entsteht.« Er sah Luise, die ihn bei jedem Schritt begleitete, fragend an und legte die Hände auf den Rücken. »Schwester Teufelchen hat gekündigt. Sie war eine gute Hilfe, eine begabte Person, ganz gewiß. Sie sind auch ausgebildet in Krankenpflege und Operations-Assistenz?«
    »Ja«, sagte Luise mit trockener Kehle. »Ich bin perfekt.«
    »Sehr gut! Sie übernehmen den Posten von Schwester Teufelchen.«
    Er musterte Luise mit seinen glänzenden Augen und schüttelte den Kopf. »Sie kommen mir bekannt vor«, murmelte er. »Irgendwo haben wir uns schon gesehen. Aber wo?«
    »In Stuttgart«, sagte Luise. Ihr Atem setzte aus. Erinnert er sich jetzt? Kommt jetzt ein wenig Klarheit in sein Hirn? Reißt dieser schreckliche Vorhang des Vergessens auseinander?
    »Stuttgart?« Sassner sah über Luises Kopf hinweg gegen die Wand mit der fleckigen, sich ablösenden Tapete. »Unmöglich. Es war Heidelberg.«
    »In Heidelberg waren wir auch.« Luise tastete nach seiner Hand und hielt sie fest. Die Hand war warm, fast heiß. Mein Gott, er hat ja Fieber, durchfuhr es sie. Er glüht vor Fieber. Es muß etwas geschehen, sofort muß man etwas unternehmen. Wer weiß, wie das Fieber auf ihn wirkt … es kann ihn dämpfen, aber es kann auch einen Vulkan aus ihm machen, den niemand mehr eindämmen kann.
    Angst überfiel sie wieder, daß sie die große Aufgabe, die sie sich gestellt hatte, nicht schaffen würde. Die Krankheit lief ihr voraus, der Verfall war schneller als sie, von Stunde zu Stunde entglitt er ihr mehr. Sie spürte, wie zwischen ihnen ein Graben wuchs, der nicht mehr zu überspringen war, über dem selbst ihre Stimme verhallte und ihn nicht mehr erreichte. Er wurde einsam in seinem Wahn. Um ihn herum wurde die Welt geboren, in die ihm niemand mehr folgen konnte. Eine eigene Welt mit gläsernen Mauern.
    »Komm …« sagte sie. In diesen Augenblicken warf sie ihm den größten Köder der Erinnerung hin. Nahm Sassner ihn auf, mußte diese gläserne Mauer durchbrochen sein. »Dorle und Andreas warten auf uns. Wir müssen nach Hause …«
    Sassner drückte das Kinn an. Er ließ seine Hand in der Hand seiner Frau, aber sein Gesicht veränderte sich nicht, seine Augen zeigten keinerlei Reaktion. Wie ausdruckslose Bärenaugen wirkten sie, wie Glasknöpfe in einer Maske.
    Vorbei, dachte Luise. Sie hätte schreien können vor dieser Leere, die in Sassner war und die nichts mehr auffüllte, nicht einmal die Namen seiner Kinder. Vorbei. Er kommt nie mehr zu uns zurück. Übriggeblieben ist nur seine Hülle. Der große, aufrechte Körper mit dem einstmals schönen Kopf, der nun unter den struppig nachgewachsenen Haaren voller Narben war. Eine kreisrunde auf der Schädeldecke, zwei kleinere Kreise an jeder Schläfenseite. Geschlossene Fenster zu seiner Seele … Einstiege in die Grabkammern seines gestorbenen Wesens.
    »Sind Dorle und Andreas schon anästhesiert?« fragte er plötzlich.
    Luise zuckte zusammen. »Ja«, antwortete sie hohl.
    »Gut! Dann operieren wir gleich.« Sassner rieb sich die Hände. »Zuerst Dorle. Liegt sie schon auf dem Tisch?«
    In Luise brach wilde Verzweiflung aus. Der kritische Punkt war erreicht: Sassner wollte operieren. Gleich würde er in seinen ›OP‹ gehen, die Gummischürze suchen, die Instrumente, die furchtbaren Werkzeuge seines Wahns. Und er würde nichts mehr vorfinden … Das Zimmer war kahl, selbst der breite Tisch war fortgeschafft worden.
    Wie würde er reagieren? Die Welt, in der er mit seinem zerstörten Hirn lebte, war verschwunden. Er stand im Nichts. Begriff er das?
    Luise hielt ihn fest,

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