Das Schloß der blauen Vögel
keins, Kamphusen! Sie täten alles, um Ihr mittelmäßiges Können aufzupolieren, damit es glänzt wie Gold! Wenn Dorian Ihnen eine Dozentur verschaffen würde – und ab Donnerstag sind Sie Kandidat –, würden Sie mit seligem Gesicht, wenn er es verlangt, Hämorrhoiden lutschen wie Malzbonbons!«
Dr. Kamphusen zuckte zusammen. Sein schweißnasses Gesicht schnellte vor wie bei einer angreifenden Kobra. »Ich verlange sofortige Entschuldigung, Sie Schwein!« keuchte er. »Auf der Stelle!«
»Sie erbärmliche Kreatur.« Dr. Keller schob Kamphusen zur Seite und wollte weitergehen. Aber Kamphusen hielt ihn fest und trat ihm gegen das Schienbein. Ein wahnsinniger Schmerz durchraste Keller, ehe er merkte, was überhaupt geschehen war. Dann aber trat er einen Schritt zurück und holte aus. Klatschend landete seine Hand in Kamphusens Gesicht. Der machte einen Satz rückwärts, prallte gegen die Wand und stieß einen hohen Ton aus wie eine Ratte in der Not.
Dr. Keller kümmerte sich nicht mehr um ihn. Er ging weiter, verließ das ›Tierhaus‹ und warf die Tür krachend zu.
Kamphusen wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht und rieb dann die schweißigen Hände an der Hose ab. Seine Wange brannte, seine ohnmächtige Wut fraß ihn von innen aus auf.
»Es wird noch viele Tage und lange Nächte geben, Kollege Keller«, keuchte er. Er brachte sein Äußeres in Ordnung und merkte dabei, daß er vor Wut zitterte wie im Schüttelfrost. »Ich werde Sie vernichten, bis Sie selbst als Irrer in einem dieser Zimmer sitzen …«
Dann rannte er weiter zu Professor Dorian, der ungeduldig auf ihn wartete.
Im Laufe des Mittwoch reisten aus allen Himmelsrichtungen die geladenen Neurochirurgen an. So knapp die Zeit von Ordinarien auch ist, so randvoll ihre Terminkalender … wenn es darum geht, einen berühmten Kollegen mit Pauken und Trompeten untergehen zu sehen, haben sie immer Zeit. Was Dorian ihnen als Besuchsgrund angekündigt hatte, riß sie allesamt vom Stuhl. Eine Herzverpflanzung ist eine Weltsensation. Aber ein Hirn umkoppeln – es klingt so simpel – ist gleichbedeutend mit einem Schöpferakt: Ein Skalpell schafft eine neue Seele!
Dorians Untergang war schon beschlossene Sache, als die berühmten Kollegen auf Hohenschwandt eintrafen und von Angela oder Dr. Kamphusen willkommen geheißen wurden. Im Chefzimmer begrüßte man Dorian wie einen lieben alten Freund … ein Sterbender hat Anrecht auf Güte und Verzeihen.
Dr. Keller stand ab und zu am Fenster der Krankenzimmer und beobachtete das Eintreffen der illustren Gäste. Er sah vom Balkon des Zimmers 31 aus zu, wie Dorian die großen Herren der Hirnchirurgie mit Gerd Sassner und seiner Frau bekannt machte. Das Ehepaar saß auf der Terrasse unter einem großen gestreiften Sonnensegel und spielte Mensch-ärgere-dich-nicht. Die Kinder waren nicht da, sie machten eine Kutschfahrt durch die Nebentäler. Auch Dr. Kamphusen entwickelte eine große Geschäftigkeit. Als neuer ›Vertreter des Chefs‹ führte er die Professoren durch die Zimmer, erklärte die Therapien, berichtete über die Krankheitsverläufe und fühlte sich sehr geschmeichelt, wenn er von den berühmten Herren gefragt wurde und Auskunft geben durfte.
Dr. Keller ging dem allem aus dem Weg. Er schloß sich in sein Zimmer ein.
Am Abend saß man in Dorians großem Wohnzimmer zusammen und diskutierte. Angela und ein Pfleger bedienten, Dr. Kamphusen reichte die Röntgenbilder von Sassners Gehirn herum.
»Du siehst blaß aus, Kleines«, sagte Dorian, als er seine Tochter in einer Ecke des großen Raumes kurz allein sprechen konnte. »Und du gehst mir aus dem Weg. Warum?«
»Das kannst du noch fragen?«
»Doktor Keller hat einen Riß zwischen uns herbeigeführt, der nicht wieder zu reparieren ist.«
»Du hast ihn hinausgeworfen.«
»Ich habe ihm anheimgestellt, zu gehen.«
»Als ob das nicht dasselbe wäre!«
»Ich brauche einen Schwiegersohn und Nachfolger, der Vertrauen zu mir hat. Ich kann mit keinem arbeiten, der immer Bedenken äußert!«
»Und wenn die Operation mißlingt?« sagte Angela leise.
Dorian schüttelte den Kopf. »Unmöglich! Es kann nichts mißlingen. Ich weiß, ich bin nicht allmächtig. Man kann einen Furunkel aufschneiden, und der Patient stirbt daran. Man kann an einem Schnupfen sterben. Alles ist möglich! Aber wenn man nur an das Mißlingen denkt, sollte man nie mehr ein Skalpell in die Hand nehmen.« Er sah sich nach den berühmten Gästen um. Eine hitzige Aussprache war
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