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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zehn Uhr verließen die Professoren den Frühstücksraum und wurden von einem Assistenten zum OP-Trakt geführt. Die weißen Kittel hingen bereit, der Waschraum glänzte vor Sauberkeit, in der Luft schwebte der Geruch von Desinfektionsmitteln. Das gleiche Bild wie in allen Kliniken, hundertmal erlebt, und doch war es heute anders. Die Nerven zitterten.
    Gerd Sassner nahm in seinem Zimmer Abschied von seiner Familie.
    »Habe ich einen Hunger!« sagte er fröhlich. »Ihr habt es gut, ihr konntet knusprige Brötchen essen! Aber wartet, das hole ich zu Mittag nach. Ich habe mich erkundigt: Es gibt heute Huhn auf Reis!«
    »Wenn sie dich essen lassen«, sagte Andreas vorlaut und bekam dafür von Dorle wieder einen Tritt in die Kniekehlen.
    »Warum nicht? Ich werde nicht am Magen, sondern am Kopf operiert. Ich habe noch nicht erlebt, daß der Mensch mit dem Kopf verdaut!« Sassner lachte laut über seine Bemerkung und legte den Arm um Luises Schulter. »Wenn ich zurückkomme, sehe ich aus wie ein Pascha. Ich glaube, Turban steht mir gut.«
    »Und einen Harem hast du auch schon.« Luise ging auf seine Fröhlichkeit ein. Wie gut ist es, daß er nicht weiß, wie krank er ist, dachte sie. Er geht zur Operation wie zu einer Weinrunde. Wie werden wir ihn wiederbekommen? Wird er wieder ganz gesund sein?
    Die Stationsschwester, ein junges, hübsches Mädchen, kam ins Zimmer. Sie nickte Sassner zu. Ihr Lächeln war wie immer, und doch gefror es in den Mundwinkeln. Nur Luise sah es.
    »Es ist soweit?« fragte Sassner.
    »Ja. Der Herr Professor wartet.«
    »Dann also auf in den Kampf!« Sassner zog Dorle und Andreas an sich und küßte sie. Dann umarmte er Luise und sah ihr tief in die Augen.
    »Angst, Rehlein?«
    »Ja, Gerd.« Ihre Stimme hatte allen Klang verloren.
    »Ich gar nicht. Sieh mich an – ich gehe pfeifend hinaus.«
    »Ich komme mit bis zur OP-Tür, Gerd …«
    Umschlungen verließen sie das Zimmer. Als die Tür zuklappte, weinte Dorle auf. Andreas tippte sich an die Stirn.
    »Weiber!« sagte er laut. »Immer heulen! Als ob das eine große Operation wäre.«
    Der Gang war leer. Unendlich lang bis zum Fahrstuhl schien er jetzt zu sein. Sassner und seine Frau gingen ihn hinunter, schweigsam, aneinandergepreßt wie ein junges Liebespaar, das jede Minute der Berührung genießt.
    Die Fahrt nach unten. Die weiße, sterile Lautlosigkeit des OP-Traktes. Die große gläserne Doppeltür aus Milchglas.
    Eintritt verboten. In goldener Schrift.
    Über der Tür eine rote Signallampe. Sie brannte bereits.
    OP besetzt.
    Die Tür schwang auf. Oberschwester Anna winkte Sassner zu. Von hinten, irgendwoher aus einem der gekachelten Räume klang Stimmengewirr. Die Professoren wuschen sich noch.
    »Können wir?« fragte Oberschwester Anna.
    »Sofort.« Sassner nahm Luises Kopf in beide Hände. »Keine Angst«, sagte er leise. »Keine Angst, Rehlein …« Er küßte sie und streichelte ihren zuckenden Rücken. »Ich liebe dich«, flüsterte er in ihr Ohr. »Aus Liebe zu dir würde ich alles tun. Weine nicht, Rehlein … in ein paar Stunden ist alles vorbei. Es ist ja nur ein leichter Eingriff …«
    »Ja, Gerd.« Sie hob den Kopf und nahm alle Tapferkeit, die letzte, verzweifelte, die sie noch hatte, zusammen. »Mach's gut … werd wieder gesund, Papi …«
    Gerd Sassner riß sich los. Er spürte, wie es ihn in der Kehle würgte. Mit zwei großen Schritten war er an der Tür, stieß sie auf und betrat den Operationstrakt. Mit einem saugenden Geräusch fiel die Tür wieder hinter ihm zu.
    Er hatte die alte Welt verlassen. Wie sah die neue Welt aus?
    Luise wandte sich ab, als die Tür zufiel, und rannte aus dem Haus. Ich muß schreien, dachte sie. Mein Gott, ich muß schreien. Aber nicht hier … im Park, in einer Ecke des Waldes, auf der Wiese unter dem weiten Himmel … ich kann nicht anders … ich muß schreien …
    Sie lief durch den Park von Hohenschwandt, zuerst so schnell, als verfolge man sie, dann langsamer, schließlich taumelnd, bis sie auf einer der weißen Bänke niedersank und die Hände vor das Gesicht schlug.
    So weinte sie, bis jemand sie berührte. Angela Dorian saß neben ihr, nahm tröstend ihre Hände und hielt sie fest.
    »Sie assistieren nicht?« Luise sah Angela durch einen Vorhang von Tränen.
    »Nein …«
    »Wird es gelingen?«
    »Wir müssen – jetzt noch – daran glauben.«
    »Und … und wenn es mißlingt …?«
    Angela sah auf Luises Hände, die sie festhielt. Bleiche, zuckende, nach Hilfe suchende

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