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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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um das Doppelte kräftiger wird. Mit dem Bein ist es genauso. Nur das Gehirn soll es nicht können?« Dorian schüttelte den Kopf. Er beugte sich über die grauweiße, vielfach verschlungene Masse auf dem Gummituch. »Auch das Gehirn wird es können!« sagte er. Es klang wie ein Befehl. »Ich nehme einen Teil von Nr. 11 im Orbitalhirn weg. Dafür reize ich Nr. 47 und vor allem Nr. 46 im Stirnhirn, das Zentrum für tätige Gedanken. Zusammen mit dem Zingularhirn, das die körperliche Ichsphäre enthält, ist es möglich, den Ausfall von Nr. 11 zu überbrücken. Mit anderen Worten: Ich kopple die Hirnzentren anders zusammen. Der Tierversuch hat uns gezeigt, daß sich beim Affen nach einer Phase von etwa sechs bis acht Wochen Verwirrtheit die Nerven auf diese neue Umkoppelung einstellen.«
    »Und warum zeigst du mir das?« fragte Dr. Keller mit belegter Stimme.
    »Damit du überzeugt bist!«
    »Das eine sind Affengehirne, das andere tote Gehirne. Du willst aber am Donnerstag an einem lebenden Gehirn operieren. Gut, ich gebe zu, daß eine Lobotomie eine Möglichkeit wäre, Sassner zu retten. Er wird stumpf.«
    »Und genau das soll er nicht! Er soll seine Intelligenz behalten, er soll wie früher fröhlich durchs Leben gehen. Ich will keinen Hirnkrüppel entlassen, sondern einen Gesunden.« Dorian warf die Pinzetten auf den Marmortisch. Es klirrte laut in der Totenstille. Die fünf Gehirne, die einmal Menschen regierten, ihnen befahlen zu essen, zu lieben, zu weinen, zu lachen, zu laufen und zu sprechen, die Zorn erzeugten, einen Blick, einen Seufzer, ein liebes Wort, eine selige Erinnerung, diese fünf breiigen Massen auf dem Gummituch leuchteten bleich unter den grellen Scheinwerfern. Dorian hatte sie zerschnitten, er hatte Feld für Feld herauspräpariert, hatte gemessen und gewogen, verglichen und wieder zusammengesetzt, er hatte mit starken Lupen operiert, war mit Mikroskopen an die Hirnnerven gegangen, um zu sehen, wie sie auf elektrische Reize reagierten, nicht hier, an den toten Hirnen, sondern am bloßgelegten Gehirn eines Affen, wo er Nerven durchtrennte und beobachtete, ob sich die Enden durch Reizung wiederfanden.
    Nun war er überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein.
    »Ich werde am Donnerstag zum erstenmal ein psychoorganisches Syndrom mit dem Messer heilen!« sagte Dorian wie das Schlußwort eines Vortrags. »Ich habe zehn Kollegen aus ganz Europa zur Operation eingeladen. Die besten Hirnchirurgen werden uns zusehen.«
    »Um Gottes willen!« entfuhr es Dr. Keller.
    Dorian wandte sich um. Seine blauen Augen waren hart im Zorn.
    »Was heißt das?«
    »Sie werden dich für verrückt halten!« stieß Keller hervor. »Sie werden dich an dieser Operation nicht hindern, aber sie werden den OP verlassen wie eine Geisterbahn …«
    »Danke!« Dorians Kopf sank auf die Brust. Mit hängenden Armen stand er vor den fünf zerschnittenen Gehirnen. »Das genügt. Ich erteile Ihnen ab sofort OP-Verbot, Doktor Keller! Sie übernehmen die reine Krankenbetreuung. Und wenn ich als Vater noch bitten dürfte: Lösen Sie die Verbindung zu meiner Tochter! Ihr Vertrag für Hohenschwandt kann jederzeit von Ihnen gekündigt werden. Ihrem Weggang steht also nichts im Wege …«
    Dr. Keller schwieg. Es hatte keinen Sinn, jetzt weiter mit Dorian zu sprechen. Er verbeugte sich knapp und verließ den OP des ›Tierhauses‹.
    Vielleicht bin ich wirklich nur ein Durchschnittsarzt, dachte er, als er durch die kahlen Flure ging. Dorians Genie sprengt alle Maßstäbe … wem kann man es übelnehmen, wenn er nicht mitkommt?
    Er blieb stehen. Die Haustür klappte. Schnelle, hallende Schritte kamen näher. Um die Ecke des Ganges bog mit wehendem weißen Kittel Dr. Kamphusen. Sein dickliches Gesicht war gerötet. Vom schnellen Lauf perlte Schweiß über die fleischige Stirn. Um nicht mit Dr. Keller zusammenzustoßen, der mitten im Gang stand, verhielt er den Schritt.
    »Bitte, lassen Sie mich durch«, sagte Kamphusen. »Der Herr Professor verlangt nach mir.«
    »Ich weiß. Sie sollen am Donnerstag assistieren!«
    Die fahlen Augen Kamphusens leuchteten auf. Seine Zungenspitze huschte schlangenschnell über die feuchten Lippen.
    »Ich ahnte so etwas, Herr Kollege …«
    »Es werden zehn Ordinarien aus ganz Europa um den Tisch hocken und zusehen.« Dr. Kellers Stimme wurde kalt. »Viel Ruhm für Sie …«
    »Sie laufen ihm ja davon, Keller.«
    »Weil ich ein Gewissen habe.«
    »Erlauben Sie!« Der dicke Kamphusen wackelte mit dem Kopf.
    »Sie haben

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