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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Firmament zusammen wie Holzstangen, wölbte sich die Erde aus ihrem Bett.
    Ein Maulwurfshügel vor ihm … ein frischer, großer Hügel aufgestoßener, duftender Erde … und über ihm eine Wolke, träge und schwer … die Welt engte sich ein, er wurde zerrieben zwischen Wolke und Erde, und alles, alles roch nach Pulver, Staub, Moder …
    »Hilfe!« brüllte Sassner und schwankte mit erhobenen Fäusten über die Wiese. »Hilfe!«
    Dann sank er in die Knie, kroch auf ihnen zu dem Maulwurfshügel zurück und wühlte sein Gesicht in die frische Erde.
    Zwei Pfleger hatten später Mühe, ihn ins Haus zurückzuschleppen. »Ich muß ihm helfen!« schrie Sassner immer wieder und schlug um sich. »Ich muß ihm doch helfen. Benno bohrt sich durch die Erde. Er hat Luft … O Gott, wißt ihr Hunde denn, was Luft ist?«
    Dann weinte er plötzlich, war friedlich und zahm und ließ sich eine Spritze geben.
    Am Dienstag ließ Professor Dorian seinen ersten Oberarzt Dr. Keller zu sich bitten. Er rief vom ›Tierhaus‹ an, aus dem Versuchs-OP.
    »Es ist soweit«, sagte Dr. Keller, bevor er ging. Er hatte mit Angela Dorian in seinem Zimmer eine Tasse Kaffee getrunken. Ein harter Tag lag hinter ihm. Ein Patient war an einer plötzlichen Gehirnblutung gestorben; im Zimmer 25 hatte es eine Schlägerei gegeben. Hier kam jeden Nachmittag eine exklusive Skatrunde zusammen und spielte bis zum Abendessen. Zu dieser Runde gehörten ein Ingenieur, ein katholischer Pfarrer, ein Oberstudienrat und als Ersatzmann ein Bademeister. Seit einem halben Jahr spielten sie ihren Skat in aller Ruhe, tranken Sprudel dazu und redeten sich mit ihren Titeln an … Herr Doktor … Hochwürden … Herr Meister … bis heute ausgerechnet Hochwürden bei einem Grand mit Vieren zwei Buben einfach auffraß. Ohne Grund steckte er die beiden Karten in den Mund, kaute und verschluckte sie und sagte dann zu seinen erstarrten Skatbrüdern:
    »Es traf sie die gerechte Strafe: Sie sahen zu lüstern aus!«
    Kurz darauf demolierten die anderen die ganze Zimmereinrichtung, bevor die Pfleger eingreifen konnten. Besonders hervor tat sich der Bademeister … er warf die Stühle aus dem Fenster in den Innenhof des Herrenhauses.
    Dr. Keller hatte vollauf zu tun, die Skatrunde zu beruhigen. Mit jedem Kranken unterhielt er sich lange einzeln und vervollständigte die Krankengeschichte.
    Und nun rief ihn Professor Dorian ins ›Tierhaus‹.
    »Versuche ihn zu verstehen, Bernd«, sagte Angela, bevor er das Zimmer verließ, und hängte sich an seinen Hals. »Unsertwegen versuche es. Bitte …«
    »Ich werde bis zur Grenze des Möglichen gehen, Liebes.« Er küßte sie und schob sie dann aus dem Weg. »Aber über diese Grenze hinaus … ich kann es nicht!«
    Im Versuchs-OP stand Dorian vor den fünf aus der Münchner Pathologie zugeschickten Menschenhirnen. In Gummitüchern lagen sie auf dem langen Marmortisch … grelle OP-Scheinwerfer tauchten sie in gleißendes Licht.
    Dorian war allein. Er hatte noch die Gummihandschuhe an, ein Gewirr gebrauchter und ungebrauchter Operationswerkzeuge lag um ihn herum.
    »Sieh dir das an«, sagte er kurz und wies mit einer langen Pinzette auf das dritte Hirn. »Persönlichkeitsumwandlung durch eine alte traumatische Veränderung. Ein schwerer Schaden im Bereich des Schläfenlappens und des unteren Orbitalhirns. Vor allem Feld 11 ist weitgehend durch den traumatischen Schaden zerstört. Exitus vor zwei Tagen. In diesem Bereich vermute ich auch bei Sassner eine Hirnschädigung durch ein altes Hämatom. Gar nicht so ausgeprägt wie hier, aber immerhin bedrohlich.«
    Dorian wartete, bis Dr. Keller sich eine Gummischürze umgebunden und die Gummihandschuhe übergestreift hatte. Dann ergriff er mit zwei langen Pinzetten den traumatisch geschädigten Hirnteil und hob ihn ab. Keller sah, daß Dorian diese Hirnteile mit einer unendlichen Geduld herausoperiert hatte.
    »Wie du siehst, habe ich das geschädigte Gehirn exstirpiert.«
    »Damit wäre der Mann, wenn er noch lebte, ein stumpfes, des Denkens beraubtes Wesen. Ein essender, trinkender, verdauender Schlauch aus Fleisch und Knochen.«
    »Bisher!« Dorians Augen leuchteten auf. »Ich habe aber seine Hirnfunktionen anders gekoppelt! Du kennst die simple medizinische Weisheit: Bei Ausfall eines Organs übernimmt ein anderes dessen Funktionen. Fällt eine Niere aus, arbeitet die andere doppelt. Das gleiche tut die Lunge, ein Auge, ein Ohr. Armamputierte erleben, wie der übriggebliebene Arm stärker und fast

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