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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sie stieß den Fremden in die Seite und lachte ihn an.
    Im Schloß drehte sich zweimal der Schlüssel, ehe die Tür aufging. Egon Trapps stand im hellen Schein der Deckenlampen und blinzelte in die Nacht. Er hatte den Rock ausgezogen, die Hose wurde von bunten Hosenträgern gehalten, das Hemd war über dem Bauch schmuddelig. Er sah wie ein rasiertes Schaf aus: schmaler, langer Kopf, kugelrunde Augen und ein breiter Mund. Seine Glatze glänzte speckig. Der ganze Mensch machte einen etwas hilflosen Eindruck.
    »Du bist spät dran«, sagte er in die Dunkelheit hinein. Noch sah er nichts. »Wie geht es Emma?«
    Emma war Ilses Schwester, die sie kurz besucht hatte. Ein Alibi, das Egon nie nachprüfte. Er glaubte seiner Frau.
    »Wir haben einen Hotelgast.« Ilse trat in den Lichtschein. Der Mann folgte ihr. Er nickte Egon Trapps zu, schob sich an ihm vorbei in die Gaststube und ging in ihr herum, als wolle er sie kaufen.
    »Wer ist denn das?« fragte Trapps leise.
    »Ein Arzt.« Ilse senkte die Stimme. »Er will Dauergast sein.«
    »Bei uns?«
    »Warum nicht?«
    »Wo kommt der denn her?«
    »Ich habe ihn auf einem Rastplatz an der Autobahn aufgenommen. Sein Wagen hat eine Panne. Wir holen ihn morgen.« Sie hielt den Mantel vorn zu, damit Egon nicht das zerrissene Kleid sah.
    »Gut. Und wenn er seinen Wagen hat und sieht bei Tag, wo er gelandet ist, fährt er gleich wieder ab. Frierst du?«
    Ilse zog den Mantelkragen höher. »Ja. Geh und lad aus. Der Kofferraum ist voll. Ich zeige dem Doktor sein Zimmer. Ich dachte, Nummer fünf.«
    »Ist gut, Ilse.«
    Während Trapps auslud und die Kisten und Kartons durch die Wirtschaft schleppte, saß der Mann an einem Tisch und sah stumm vor sich hin. Ilse war hinauf in die Wohnung gerannt, zog sich schnell um und versteckte das zerrissene Kleid unter schmutziger Wäsche. Sie kämmte sich, schminkte die Lippen und strich mit beiden Händen über ihre Brüste.
    Ich bin schön, dachte sie. Viele haben es mir schon ins Ohr geflüstert, aber wenn er das sagt, klingt es wie Fanfarenmusik. Das war eines der großen Erlebnisse für Ilse Trapps gewesen … ein Liebhaber hatte sie abends mitgenommen in ein Sinfoniekonzert. Man spielte Beethoven, und als die Fanfaren aufklangen, war es ihr fröstelnd über den Rücken gelaufen, und sie hatte ein Gefühl gehabt, das sie nie beschreiben konnte. Nun war es wiedergekommen, wenn der ›große Boss‹ zu ihr sprach, wenn er sie umarmte, wenn er sie ansah … ein Gefühl, als schmetterten die Fanfaren.
    Sie kam die Treppe herunter, als Egon Trapps bereits den ersten Streit mit dem späten Gast hatte.
    Egon hatte ihm das rote Meldeformular hingeschoben und darum gebeten, sich einzutragen.
    »Wegen der Polizei und der Steuer, Herr Doktor.«
    »Nicht nötig.« Der Mann schob den Meldeblock von sich weg, als rieche er übel.
    »Es ist Vorschrift, Herr Doktor«, sagte Egon höflich. »Ich kann nichts dafür.«
    Der Mann sah Egon Trapps scharf an. Es war ein Blick, den Trapps wie eine Ohrfeige empfand.
    »Ich will nicht! Verstehen Sie. Ich will nicht!«
    »Es wird Ärger geben, Herr Doktor. Ich muß doch wissen, wie Sie heißen!«
    »Der große Boss!«
    Egon Trapps sagte nichts mehr. Er schlurfte hinter den Tresen, goß sich ein Kirschwasser ein und kippte es schnell hinunter. Als er Ilse sah, winkte er ihr zu und verschwand in der Küche.
    »Der kommt mir morgen wieder aus dem Haus«, sagte er, als Ilse ihm gefolgt war. »Der hat sie nicht mehr alle im Kasten! Der große Boss! Hier!« Trapps tippte an seine Stirn. »Hast du gesehen, wie er aussieht? Kein Hut, kein Mantel, der Anzug klatschnaß …«
    »Er ist im Regen über die Autobahn gelaufen, um Hilfe zu suchen …«
    »Und dann der Kopf. Auf beiden Seiten runde Narben und obendrauf auch. Ich hab's deutlich gesehen.« Egon Trapps atmete heftig. Eine unbestimmbare Angst stieg in ihm auf. Er kannte sonst so etwas nicht, er war durchaus kein furchtsamer Mensch, sonst hätte er nicht schon dreißig Jahre in dieser Einsamkeit verbracht. Aber dieser fremde Mensch strahlte Furcht aus. Man hatte das Gefühl, ihn umschleichen zu müssen, wie ein giftiges Reptil. »Wir lassen den Wagen holen … und dann weg mit ihm! Ich habe ein merkwürdiges Gefühl …«
    »Verrückt.« Ilse Trapps lachte etwas gequält. »Er ist ein Doktor. Ein feiner Herr. Du kennst nur deine Waldhüter mit ihren stinkenden Lederhosen! Wann kommt schon mal ein vornehmer Herr hierher? Und ist mal einer da, dann drehst du durch, nur weil du

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