Das Schloß der blauen Vögel
eine Verabredung.«
»Mit wem?« Dr. Keller hielt sie am Arm fest. Sie suchte sich zu befreien, verzog das Gesicht und blitzte ihn wütend an.
»Du tust mir weh!«
»Wohin willst du?«
»Nach München. Ich treffe dort hundert junge Männer.«
»Einer genügt … und dem breche ich die Knochen!«
»Oha! Knochen? Wechselt der Herr Doktor von der Neurochirurgie zur Osteologie über?«
»Laß uns vernünftig miteinander sprechen, bitte, Angi.« Dr. Keller ließ sie los. Angela Dorian schüttelte den befreiten Arm, als habe er in einem Schraubstock gesessen. »Wir lieben uns doch.«
»Das telegrafiert Ihr Gehirn, Herr Doktor. Aber Hirne irren, das wissen Sie auch.« Sie machte einen Schritt um eine Stufe tiefer, blieb dann aber stehen. »Vater hat dich gerufen?«
»Ja. Ich soll mir ein Experiment ansehen.«
»Ich weiß. Seit Wochen redet er zu mir davon. Ich habe ihm versprochen, zu schweigen. Auch dir gegenüber. Aber jetzt ist es mir zu bunt! Weißt du, was er macht? Er stellt Hirnbreie her!«
»Was?« Dr. Keller schüttelte den Kopf. »Wozu das denn?«
»Er will Intelligenz mit einer Spritze injizieren. Hirnbrei intelligenter Wesen in das Hirn dummer Wesen …«
»Das ist doch ein Witz …«
»Geh 'rauf und hör dir diesen Witz an! Er meint es ernst!« Angela wandte sich ganz um. Ihre großen blauen Augen sahen Dr. Keller bittend an. »Bernd, ich habe meinen Vater bewundert, ich habe ihn fast als einen Halbgott angesehen … aber jetzt habe ich Angst vor ihm. Ich will weg, verstehst du, ich will weit weg … ich will mit dir leben, ruhig und glücklich, irgendwo in einer Wohnung, die nur uns gehört, ein kleines, stilles Paradies für uns und die Kinder, die ich mir wünsche. Das ist doch nicht unbescheiden, das ist doch möglich … Ich will nicht in den Sog hineinkommen, der euch alle erfaßt, ihr großen Forscher, wenn ihr erkennt, daß es gilt, Neuland zu erobern. Ich will eine kleine, bescheidene Arztfrau sein, irgendwo … aber ich will dich allein haben. So, und nun laß mich gehen …«
»Du fährst nach München?« Dr. Keller hielt Angelas Schulter umklammert.
»Ja. Zu Doris. Sie hat heute eine Modeausstellung.«
»Ist das wahr, Angi?«
Sie hörte seine Sorge in dieser Frage und lächelte.
»Ja, Bernd. Ich liebe dich doch.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab Dr. Keller einen Kuß. »Ich bin so wütend auf dich … und trotzdem …«
»Ich werde mit Vater sprechen.« Dr. Keller knöpfte seinen weißen Arztmantel zu wie eine Rüstung. »Wir heiraten und ziehen nach Zürich.«
Professor Dorian erwartete Dr. Keller in einem abgedunkelten Raum. Eine Filmleinwand war aufgehängt, auf einem Tisch, durch einige Bücher erhöht, stand ein Projektor. An der Seitenwand standen zwei weitere Tische mit verhüllten Gegenständen. Dr. Keller konnte nicht erkennen, was es war … weiße Operationsstücher verdeckten alles.
Dorian war in Hemdsärmeln und gab sich familiär. »So, mein Junge«, sagte er und wies auf einen Stuhl vor dem Projektor, »setz dich und halt einmal ein paar Minuten deinen Mund. Ich weiß, daß du schon wieder Übles ahnst, aber bevor wir anfangen, uns wieder zu streiten, will ich dir sagen, daß du ein Rindvieh wärst, wenn du nach diesem Film nicht wenigstens sagtest: Man sollte auf diesem Weg weitergehen … Was gewesen ist, wollen wir vergessen, um Angelas willen.« Dorian schien in einer euphorischen Laune zu sein; Dr. Keller hatte ihn noch nie so begeistert gesehen, selbst damals nicht, als der operierte Gorilla nach Klaviermusik zu singen begann.
Dr. Keller setzte sich brav auf den angewiesenen Stuhl. Dorian spannte die Filmrolle ein.
»Kommt Kamphusen auch?« fragte Keller.
Dorian schüttelte den Kopf. »Nein. Was soll er dabei? Was der Film zeigt, sollte man auch mit ihm tun … es bekäme ihm ganz gut.«
Dorian drückte den Knopf an den offenen Hemdkragen. »Was ist eigentlich mit Angela und dir los? Früher erwähnte sie in jedem zweiten Satz deinen Namen, jetzt höre ich ihn gar nicht mehr. Krach?«
»Verschiedene Auffassungen.«
»Jetzt schon? Verliebte sehen doch alles rosarot und violett wie LSD-Süchtige.«
»Es geht um Grundsätzliches. Um Sie, Herr Professor.«
»Aha! Wieder förmlich!« Dorian lehnte sich an die Tischkante. »Soll ich den Film nicht ablaufen lassen … um neuen Katastrophen vorzubeugen? Ich kann auch allein meinen Weg gehen. Ich dachte nur, mein Schwiegersohn würde einmal mein Werk … na ja … auch Professoren träumen
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