Das Schloss von Otranto
Stamm fortzupflanzen. Giebt im letztern Falle Fräulein Isabelle ihre Einwilligung – Manfred hielt dafür, er habe entweder den guten alten Mann überlistet, oder seine erste Aufwallung sey ein bloßer Zoll, den er dem Schein bezahlen müssen: daher war er mit dieser unvorbereiteten Wendung überaus vergnügt, und wiederholte die prächtigsten Versicherungen, falls es ihm durch des Mönchs Vermittelung gelingen sollte. Der wohlmeinende Geistliche ließ ihn sich selbst betrügen, fest entschlossen, seine Absichten zu vereiteln, anstatt sie zu unterstützen.
Da wir nun einander verstehn, Vater, hub der Fürst an, so erwarte ich, Sie werden mich über einen Punkt befriedigen. Wer ist der junge Bursche, den ich im Kreutzgange fand? Er muß Theil an Isabellen Flucht genommen haben. Sagen Sie mir die Wahrheit: ist er ihr Liebhaber? oder ist er der Abgesandte einer fremden Leidenschaft? Oft hab' ich geargwohnt, Isabelle sey unempfindlich gegen meinen Sohn. Mir schweben tausend Umstände vor, die diesen Argwohn vermehren. Sie war sich dessen selbst so wohl bewust, daß sie, da ich mit ihr in der Gallerie sprach, meinem Verdacht zuvorkam, und mir versicherte, sie sey nie kalt gegen Corrado gewesen. Der Mönch, dem von dem jungen Menschen nichts bekannt war, außer was er gelegentlich von der Prinzessin erfahren hatte, der ausserdem nicht wuste, was aus ihm geworden sey, und Manfreds heisses Blut nicht genugsam in Betrachtung zog, ließ sich einfallen: es mögte vielleicht nicht übel seyn, den Saamen der Eifersucht in seiner Seele auszustreuen. Der könne nachher zu einigem Nutzen heranreifen; entweder um den Fürsten gegen Isabellen einzunehmen, wenn er auf dieser Verbindung bestände; oder doch, um seine Aufmerksamkeit eine unrechte Fährte zu leiten, und dadurch, daß man seine Gedanken mit einem erträumten Handel beschäftige, ihn von irgend einer neuen Unternehmung abzubringen. Diese unglückliche Weltklugheit bewog ihn, auf eine Weise zu antworten, die Manfred in dem Glauben bestärkte, als sey zwischen Isabellen und dem Jüngling eine Verbindung. Der Fürst, dessen Leidenschaft nur wenig Zunder bedurfte, um in eine Flamme aufzulodern, ward wüthend bey dem Wink, welchen der Mönch ihm zu geben schien. Ich will diesen Schleicher bis auf den Grund kennen! rief er, verließ Geronimo plötzlich, gebot ihm seiner Rückkehr zu warten, eilte in die große Halle der Burg, und befahl den Landmann vorzuführen.
Verstockter junger Betrüger! rief der Fürst dem Jüngling entgegen, sobald er ihn sah; wie besteht jetzt die Wahrhaftigkeit, mit der du dich brüstest? Waren es Vorsehung und Mondschein, die das Schloß der Fallthür dir offenbarten? Sage mir, verwegner Junge, wer bist du? wie lange bist du mit der Prinzessin bekannt? und hüte dich, nicht so zweydeutig zu antworten, als diese Nacht, oder die Marterbank soll dich Wahrheit reden lehren. Der Jüngling merkte, daß sein Antheil an der Flucht der Prinzessin entdeckt sey, und urtheilte, was er auch jetzt sage, könne ihr nicht mehr zum Vortheil oder zum Schaden gereichen. Er antwortete also: Gnädiger Herr, ich bin kein Betrüger, und verdiene keine Schmachreden. Jede Frage, die mir Ihre Hoheit diese Nacht vorlegten, habe ich so wahrhaftig beantwortet, als ich jetzt thun werde, und zwar nicht aus Furcht vor Martern, sondern weil meine Seele jede Falschheit verabscheut. Ich bitte Ihre Hoheit, Ihre Fragen zu wiederholen; ich bin bereit Ihnen genug zu thun, so viel in meiner Macht steht. Du weißt meine Fragen, versetzte der Prinz, und suchst nur Zeit für Ausflüchte zu gewinnen. Sprich grade heraus: wer bist du? und wie lange kennt dich die Prinzessin? Ich bin ein Feldarbeiter vom nächsten Dorf, antwortete der Jüngling; mein Nahme ist Theodor. Die Prinzessin fand mich verwichene Nacht im Kreuzgange: nie war ich zuvor in ihrer Gegenwart. Davon mag ich glauben, so viel mir beliebt, sprach Manfred; aber ich will deine Geschichte zu Ende hören, bevor ich ihre Wahrheit untersuche. Sprich weiter: welche Ursache führte die Prinzessin an, warum sie entfliehe? Dein Leben hängt von der Antwort ab. Sie sagte mir, erwiederte Theodor, sie stehe am Rande des Verderbens, und schwebe in Gefahr, in wenig Augenblicken auf ewig unglücklich zu werden, wenn sie nicht aus der Burg entrinnen könne. Und auf diesen schwachen Grund hin, auf die Aussage eines albernen Mädchens, sprach Manfred, wagtest du mir zu mißfallen? Ich fürchte niemandes Mißfallen, versetzte Theodor, wenn ein
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