Das Schloss von Otranto
eine böse Welt, und ich habe keine Ursach, sie ungern zu verlassen. Armer Jüngling! sprach Geronimo: wie kannst du meinen Anblick geduldig ertragen? Ich bin dein Mörder. Ich habe diese Stunde des Verderbens über dich gebracht! Ich vergebe Ihnen von Herzen, sagte der Jüngling, wie ich hoffe, daß mein himmlischer Vater mir vergeben wird. Hören Sie meine Beichte, Vater, und geben Sie mir Ihren Seegen. Wie kann ich dich, sprach Geronimo, meiner Pflicht gemäß, zu diesem Uebergange vorbereiten? Du kannst nicht selig werden, wenn du deinen Feinden nicht vergiebst: kannst du dem grausamen Fürsten dort vergeben? Ich kann es, antwortete Theodor, ich vergeb' ihm. Erweicht dies Ihrer Hoheit Strenge nicht? fragte Geronimo. Ich sandte dich, ihn Beichte zu hören, sprach Manfred unerschüttert, nicht seinen Anwald zu machen. Du hast mich zuerst gegen ihn aufgehetzt, sein Blut komm' über dich! Das wird es, das wird es, sprach der Geistliche, der vor Schmerz beynahe versank. Sie und ich dürfen niemals hoffen, dahin zu gehen, wohin dieser gesegnete Jüngling geht. Eile! befahl ihm Manfred, Pfaffenthränen rühren mich so wenig, als Weibergeschrey. Ist es möglich? sagte der Jüngling, ist das Schicksal ganz so unbarmherzig, als ich vernehme? ist die Prinzessin wieder in Ihrer Gewalt? Du weckst meinen Zorn, sprach Manfred. Bereite dich, dies ist dein letzter Augenblick! Der Jüngling fühlte seinen Unwillen empor streben, aber ihn jammerte des Kummers, den er über alle Umstehende, wie über den Klosterbruder verbreitet sah, darum unterdrückte er diese Aufwallung, zog seine Weste aus, öfnete seinen Hemdekragen, und kniete nieder zum Gebet. Da er sich bückte, glitt ihm das Hemd die Schulter herab, und enthüllte das Mahl eines blutigen Pfeils. Gütiger Himmel! rief der ehrwürdige Alte mit Entsetzen, was seh' ich? es ist mein Sohn! mein Theodor!
Den Eindruck welchen dies machte, muß man fühlen. Wer kann ihn beschreiben? Die Thränen derer, die dabey standen, waren mehr durch Verwunderung aufgehalten, als durch Freude erstickt. Es schien, als forschten sie in den Augen ihres Herrn, was sie fühlen sollten. Ueberraschung, Zweifel, Zärtlichkeit und Ehrfurcht, wechselten in des Jünglings Antlitz. Mit bescheidener Demuth nahm er die Ergießung der Zähren und Umarmungen des Alten auf. Doch scheute er sich, der Hofnung den Zügel schießen zu lassen. Was vorgegangen war, ließ ihn argwöhnen, Manfreds Stimmung wäre nicht zu beugen. Er warf einen fragenden Blick auf den Prinzen: bleibst du bey diesem Auftritt unbewegt?
Manfreds Herz war fähig gerührt zu werden. Sein Zorn wich dem Erstaunen, aber sein Stolz verbot ihm, diese Empfindungen zu gestehn. Es fiel ihm sogar ein, die Erkennung sey vielleicht nur eine List, deren der Mönch sich bediene, den Jüngling zu retten. Was soll das bedeuten? fragt' er. Wie kann er Ihr Sohn seyn? Besteht es mit Ihrem Amt, und dem Geruch Ihrer Heiligkeit, den Sohn eines Bauren für die Frucht Ihrer zügellosen Liebe zu erkennen? O Gott! erwiederte der Alte, zweifelt Ihre Hoheit, ob er mir angehört? Könnte ich die Beklemmung empfinden, die ich fühle, wenn ich nicht sein Vater wäre? Schonen Sie seiner, guter Fürst, schonen Sie seiner. Setzen Sie mich so tief herab, wie Sie wollen. Schonen Sie seiner, schonen Sie seiner, gnädiger Herr, riefen die Umstehenden, um des guten alten Mannes willen! Schweigt! sprach Manfred störrig, ich muß mehr wissen, bevor ich geneigt werde zu vergeben. Eines Heiligen Bankert mag kein Heiliger seyn! Gnädiger Herr, sprach Theodor, häufen Sie nicht Beleidigung mit Grausamkeit. Bin ich der Sohn dieses ehrwürdigen Mannes, so fließt edles Blut in meinen Adern, wenn gleich kein Fürstenblut. – Ja, es ist edles Blut, unterbrach ihn der Mönch, er ist nicht der Verworfne, Gnädiger Herr, für den Sie ihn halten. Er ist aus rechtmäßiger Ehe von mir erzeugt, und Sicilien kennt wenig ältere Geschlechter, wie das Haus Falconara. Aber ach! gnädiger Herr, was ist Blut, was ist Adel? Wir alle sind kriechende, elende, sündenvolle Geschöpfe. Nur Gottesfurcht allein vermag uns über den Staub empor zu heben, aus dem wir genommen wurden, und zu dem wir zurückkehren müssen. – Schenken Sie mir die Predigt, sprach Manfred, Sie vergessen, daß Sie nicht länger Bruder Geronimo sind, sondern Graf Falconara. Lassen Sie mich Ihre Geschichte erfahren. Himmlische Weisheit können Sie in der Folge genug anbringen, wenn es Ihnen etwa nicht gelingt, diesem
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