Das Schloss von Otranto
können, den Ihr gnädiges Erbarmen mir jetzt so mitleidig vergilt. Sie sind immer noch irrig, sagte die Prinzessin, aber dies ist keine Zeit zur Erklärung. Fliehn Sie, tugendhafter Jüngling, weil es noch in meiner Macht steht, Sie zu retten. Käme mein Vater zurück, so würden wir beyde, Sie und ich, Ursach haben zu zittern. Wie? sprach Theodor, können Ihre Hoheit glauben, ich werde mein Leben annehmen, wenn Sie irgend ein Unglück dadurch befahren? Besser leid' ich tausendmal den Tod! Für mich ist keine Gefahr, sagte Matilde, außer in Ihrer Zögerung. Eilen Sie. Niemand kann wissen, daß ich Ihrer Flucht beygestanden habe. Schwören Sie bey den Heiligen des Himmels, sprach Theodor, daß man Sie nicht in Verdacht haben kann: sonst gelob' ich, hier alles abzuwarten, was mich betreffen kann. O, Sie sind zu großmüthig! sagte Matilde. Aber seyn Sie versichert, daß mich kein Argwohn berühren wird. Geben Sie mir Ihre schöne Hand, zum Zeichen, daß Sie mich nicht hintergehn, sprach Theodor, und lassen Sie mich sie baden mit heißen Zähren. – Halten Sie ein, sprach die Prinzessin, das darf nicht geschehn! Ach! rief Theodor, erst in diesem Augenblicke lern' ich, was Unglück ist! Vielleicht kommt mir das Glück nie wie der nah! Geben Sie dem unschuldigen Entzücken heiliger Dankbarkeit Raum! Meine Seele wünscht, ihre Empfindungen auf Ihre Hand zu drücken. Lassen Sie mich, und gehn Sie! sprach Matilde. Was würde Isabelle sagen, Sie zu meinen Füßen zu sehn? Wer ist Isabelle? fragte der junge Mann verwundert. Weh mir! sprach die Prinzessin. Ich fürchte, ich diene einem Betrüger. Haben Sie Ihre Neugier von diesem Morgen her vergessen? Ihre Blicke, Ihr Betragen, alle diese Schönheit um Sie her, erwiederte Theodor, scheinen ein Ausfluß der Gottheit, aber Ihre Worte sind dunkel und geheimnißvoll. Reden Sie, Signora, reden Sie, daß Ihr Knecht Sie verstehe. – Sie verstehn mich nur zu wohl! sprach Matilde. Aber noch einmal befehle ich Ihnen, gehn Sie! Ihr Blut, das ich erhalten kann, kommt über meinen Kopf, wenn ich die Zeit mit unnützen Gesprächen verbringe. Ich gehe, Signora, antwortete Theodor, weil Sie es befehlen, und weil ich nicht, das graue Haar meines Vaters, mit Schmerzen in die Grube bringen will. Nur sagen Sie mir, Sie, die ich anbete, daß Sie sich meiner erbarmen. – Halten Sie, sprach Matilde, ich will Sie zu dem unterirrdischen Gewölbe führen, durch welches Isabelle entrann. Es wird Sie in die Kirche San Nicola bringen, die eine heilige Freystäte für Sie seyn kann. Wie? sprach Theodor, so war es eine andre, waren Sie es nicht, in Ihrer Schönheit, der ich den unterirrdischen Durchgang finden half? Ich war es nicht, antwortete Matilde, aber fragen Sie nicht weiter. Ich zittre, Sie immer noch hier verweilen zu sehn. Fliehen Sie zum Altar! – Zum Altar? rief Theodor. Nein, Prinzessin, hülflose Jungfrauen oder Verbrecher mögen die Hörner des Altars ergreifen! Meine Seele ist frey von Schuld, und wird nie den Anschein der Schuld auf sich nehmen. Geben Sie mir ein Schwerd, Signora, und Ihr Vater lerne, daß Theodor eine schändliche Flucht verschmäht. Rascher Jüngling! sprach Matilde, dürften Sie wagen, den vermeßnen Arm gegen Otranto's Fürsten zu erheben? Nicht gegen Ihren Vater, nein, das darf ich nicht! antwortete Theodor. Verzeihn Sie mir, Signora, ich vergaß – aber wer kann Sie sehn, und sich erinnern, daß Sie des tyrannischen Manfred Tochter sind? Er ist Ihr Vater. Von diesem Augenblick an begrab' ich sein Unrecht in Vergessenheit. Tiefes, holes Aechzen schien von oben herab zu tönen. Theodor und die Prinzessin erschraken. Guter Himmel! wir werden belauscht! rief die Prinzessin. Sie horchten, sie vernahmen kein weiteres Geräusch, und beyde hielten, was sie vernommen hatten, für den Ausbruch eingeschlossener Dünste. Die Prinzessin ging leise vor Theodor her, führte ihn in ihres Vaters Waffenkammer, wo er sich völlig ausrüstete, und leitete ihn dann zum Pförtchen. Vermeiden Sie die Stadt, sprach die Prinzessin, und die ganze westliche Seite der Burg. Dort müssen Manfred und die Fremden ihre Nachsuchungen anstellen: eilen Sie der entgegen gesetzten Seite zu. Hinter jenem Walde, gegen Osten, erstreckt sich eine Felsenkette, unter welcher, ausgehöhlte Gänge, bis an die Seeküste reichen. Dort mögen Sie in Verborgenheit sich aufhalten, bis Sie einem Schiffe winken können, Sie aufzunehmen fortzuführen. Gehn Sie, der Himmel sey ihr Geleitsmann, und gedenken Sie
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