Das Schloß
und Gerstäcker hielt ihn wieder am Ärmel fest, als die Wirtin ihm nachrief: »Ich bekomme morgen ein neues Kleid, vielleicht lasse ich Dich holen.«
Gerstäcker, ärgerlich mit der Hand fuchtelnd, so als wolle er von weitem die ihn störende Wirtin zum Schweigen bringen, forderte K. auf, mit ihm zu gehn. Auf eine nähere Erklärung wollte er sich zuerst nicht einlassen. Den Einwand K.’s, daß er jetzt in die Schule gehn müsse, beachtete er kaum. Erst als sich K. dagegen wehrte von ihm fortgezogen zu werden, sagte ihm Gerstäcker, er solle sich nicht sorgen, er werde bei ihm alles haben was er brauche, den Schuldienerposten könne er aufgeben, er möge nur endlich kommen, den ganzen Tag warte er nun schon auf ihn, seine Mutter wisse gar nicht wo er sei. K. fragte, langsam ihm nachgebend, wofür er ihm denn Kost und Wohnung geben wolle. Gerstäcker antwortete nur flüchtig, er brauche K. zur Aushilfe bei den Pferden, er selbst habe jetzt andere Geschäfte, aber nun möge K. sich doch nicht so von ihm ziehen lassen und ihm nicht unnötige Schwierigkeiten machen. Wolle er Bezahlung, werde er ihm auch Bezahlung geben. Aber nun blieb K. stehn trotz allen Zerrens. Er verstehe ja gar nichts von Pferden. Das sei doch auch nicht nötig, sagte Gerstäcker ungeduldig und faltete vor Ärger die Hände, um K. zum Mitgehn zu bewegen. »Ich weiß warum Du mich mitnehmen willst«, sagte nun endlich K. Gerstäcker war es gleichgültig, was K. wußte. »Weil Du glaubst, daß ich bei Erlanger etwas für Dich durchsetzen kann.« »Gewiß«, sagte Gerstäcker, »was läge mir sonst an Dir.« K. lachte, hing sich in Gerstäckers Arm und ließ sich von ihm durch die Finsternis führen.
Die Stube in Gerstäckers Hütte war nur vom Herdfeuer matt beleuchtet und von einem Kerzenstumpf, bei dessen Licht jemand in einer Nische gebeugt unter den dort vortretenden schiefen Dachbalken in einem Buche las. Es war Gerstäckers Mutter. Sie reichte K. die zitternde Hand und ließ ihn neben sich niedersetzen, mühselig sprach sie, man hatte Mühe sie zu verstehn, aber was sie sagte
Anhang
Editorische Notiz
Textgrundlage: Franz Kafka, Das Schloß, Kritische Ausgabe, herausgegeben von Malcolm Pasley, Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 1981. Druckvorlage: Handschrift. ›Das Schloß‹, herausgegeben von Max Brod, erschien erstmals 1926 in der Kurt Wolff A.G., München.
Zu dieser Ausgabe
Diese Textform des ›Schloß‹-Romans mag zunächst befremden – vor allem wegen der Spärlichkeit der Interpunktion und der zuweilen unregelmäßigen Schreibweisen. Die ungewöhnliche Darbietung entspricht jedoch der Ungewöhnlichkeit der Überlieferung, denn Kafka hat den Roman weder abgeschlossen noch in irgendeiner Weise für eine Veröffentlichung vorbereitet; er hat vielmehr den Text offenbar nur so weit entwickelt, daß er ihn in der Handschrift mühelos nachlesen und gegebenenfalls daraus vorlesen konnte. Daß er zumindest die Anfangspartien seinem Freund Max Brod vorgelesen hat, ist bezeugt. Der gewissermaßen private und vorläufige Charakter des Textes bleibt hier im Interesse der Authentizität gewahrt: es wurde nicht versucht, ihn durch Normalisierung oder Korrekturen im vermeintlichen Sinne des Autors zu reinigen oder zu glätten. (Die Fälle, in denen der Herausgeber trotzdem eingreifen zu müssen glaubte, werden im Apparatband der Kritischen Ausgabe erklärt, deren Textband den gleichen Wortlaut hat wie diese Leseausgabe.)
Mag die Interpunktion auf den ersten Blick auch willkürlich erscheinen, weil man die Anwendung der erlernten Regeln vermißt, so erkennt man doch ihre Konsequenz, sobald man gleichsam mit Hilfe des Ohrs zu lesen beginnt. Denn Kafkas Zeichensetzung dient nicht so sehr der Verdeutlichung der grammatischen Struktur der Sätze als vielmehr der leichteren Erfassung ihres Sinnes und der Markierung von Rhythmus und Tonfall. Wenn er vorlas, schreibt sein blinder Freund Oskar Baum, »dann unterordnete sich der Ausdruck des einzelnen Worts bei voller Klarheit jedes Lauts, in zuweilen schwindelerregendem Zungentempo, ganz einer musikalischen Breite der Phrasierung von endlos, endlos langem Atem und gewaltig sich steigernden Crescendi der dynamischen Terrassen – wie ihn ja auch seine Prosa hat …« Hatte er nun, wie Baum andeutet, auch schon als Schreibender diesen »endlos langen Atem«, so muß der Herausgeber sich fragen, wie weit er berechtigt ist, die Atemzüge der erzählenden Rede durch Satzzeichen zu unterbrechen.
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