Das Schloß
erstarrten. Schon in der Küche hörte man das Seufzen der Wirtin. Sie lag in einem durch eine leichte Bretterwand von der Küche abgetrennten fensterlosen Verschlag. Er hatte nur Raum für ein großes Ehebett und einen Schrank. Das Bett war so aufgestellt, daß man von ihm aus die ganze Küche übersehn und die Arbeit beaufsichtigen konnte. Dagegen war von der Küche aus im Verschlag kaum etwas zu sehn, dort war es ganz finster, nur das weißrote Bettzeug schimmerte ein wenig hervor. Erst wenn man eingetreten war und die Augen sich eingewöhnt hatten unterschied man Einzelnheiten.
»Endlich kommen Sie«, sagte die Wirtin schwach. Sie lag auf dem Rücken ausgestreckt, der Atem machte ihr offenbar Beschwerden, sie hatte das Federbett zurückgeworfen. Sie sah im Bett viel jünger aus als in den Kleidern, aber ein Nachthäubchen aus zartem Spitzengewebe das sie trug, trotzdem es zu klein war und auf ihrer Frisur schwankte, machte die Verfallenheit des Gesichtes mitleiderregend. »Wie hätte ich kommen sollen?« sagte K. sanft, »Sie haben mich doch nicht rufen lassen.« »Sie hätten mich nicht so lange warten lassen sollen«, sagte die Wirtin mit dem Eigensinn des Kranken. »Setzen Sie sich«, sagte sie und zeigte auf den Bettrand, »Ihr andern aber geht fort.« Außer den Gehilfen hatten sich inzwischen auch die Mägde eingedrängt. »Ich soll auch fortgehn, Gardena?« sagte der Wirt, K. hörte zum erstenmal den Namen der Frau. »Natürlich«, sagte sie langsam, und als sei sie mit andern Gedanken beschäftigt, fügte sie zerstreut hinzu: »Warum solltest denn gerade Du bleiben?« Aber als sich alle in die Küche zurückgezogen hatten, auch die Gehilfen folgten diesmal gleich, allerdings waren sie hinter einer Magd her, war Gardena doch aufmerksam genug, um zu erkennen, daß man aus der Küche alles hören konnte, was hier gesprochen wurde, denn der Verschlag hatte keine Türe, und so befahl sie allen auch die Küche zu verlassen. Es geschah sofort.
»Bitte«, sagte dann Gardena, »Herr Landvermesser, gleich vorn im Schrank hängt ein Umhängetuch, reichen Sie es mir, ich will mich damit zudecken, ich ertrage das Federbett nicht, ich atme so schwer.« Und als ihr K. das Tuch gebracht hatte, sagte sie: »Sehen Sie, das ist ein schönes Tuch, nicht wahr?« K. schien es ein gewöhnliches Wolltuch zu sein, er befühlte es nur aus Gefälligkeit noch einmal, sagte aber nichts. »Ja, es ist ein schönes Tuch«, sagte Gardena und hüllte sich ein. Sie lag nun friedlich da, alles Leid schien von ihr genommen zu sein, ja sogar ihre vom Liegen in Unordnung gebrachten Haare fielen ihr ein, sie setzte sich für ein Weilchen auf und verbesserte die Frisur ein wenig rings um das Häubchen. Sie hatte reiches Haar.
K. wurde ungeduldig und sagte: »Sie ließen mich, Frau Wirtin, fragen, ob ich schon eine andere Wohnung habe.« »Ich ließ Sie fragen?« sagte die Wirtin, »nein, das ist ein Irrtum.« »Ihr Mann hat mich eben jetzt danach gefragt.« »Das glaube ich«, sagte die Wirtin, »ich bin mit ihm geschlagen. Als ich Sie nicht hier haben wollte, hat er Sie hier gehalten, jetzt da ich glücklich bin, daß Sie hier wohnen, treibt er Sie fort. So ähnlich macht er es immer.« »Sie haben also«, sagte K., »Ihre Meinung über mich so sehr geändert? In ein, zwei Stunden?« »Ich habe meine Meinung nicht geändert«, sagte die Wirtin wieder schwächer. »Reichen Sie mir Ihre Hand. So. Und nun versprechen Sie mir, völlig aufrichtig zu sein, auch ich will es Ihnen gegenüber sein.« »Gut«, sagte K., »wer wird aber anfangen?« »Ich«, sagte die Wirtin, es machte nicht den Eindruck, als wolle sie K. damit entgegenkommen, sondern als sei sie begierig als erste zu reden.
Sie zog eine Photographie unter dem Polster hervor und reichte sie K. »Sehen Sie dieses Bild an«, sagte sie bittend. Um es besser zu sehn, machte K. einen Schritt in die Küche, aber auch dort war es nicht leicht etwas auf dem Bild zu erkennen, denn dieses war vom Alter ausgebleicht, vielfach gebrochen, zerdrückt und fleckig. »Es ist in keinem sehr guten Zustand«, sagte K. »Leider, leider«, sagte die Wirtin, »wenn man es durch Jahre immer bei sich herumträgt, wird es so. Aber wenn Sie es genau ansehn, werden Sie doch alles erkennen, ganz gewiß. Ich kann Ihnen übrigens helfen, sagen Sie mir, was Sie sehn, es freut mich sehr von dem Bild zu hören. Was also?« »Einen jungen Mann«, sagte K. »Richtig«, sagte die Wirtin, »und was macht er?« »Er liegt
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