Das Schloß
Sprache kommen, aber das Wichtigste ist doch für mich, daß ich ihm gegenüberstehe. Ich habe nämlich noch mit keinem wirklichen Beamten unmittelbar gesprochen. Es scheint das schwerer zu erreichen zu sein als ich glaubte. Nun aber habe ich die Pflicht, mit ihm als einem Privatmann zu sprechen, und dieses ist meiner Meinung nach viel leichter durchzusetzen; als Beamten kann ich ihn nur in seinem vielleicht unzugänglichen Bureau sprechen, im Schloß oder, was schon fraglich ist, im Herrenhof, als Privatmann aber überall im Haus, auf der Straße, wo es mir nur gelingt ihm zu begegnen. Daß ich dann nebenbei auch den Beamten mir gegenüber haben werde, werde ich gern hinnehmen, aber es ist nicht mein erstes Ziel.«
»Gut«, sagte die Wirtin und drückte ihr Gesicht in die Kissen, als sage sie etwas Schamloses, »wenn ich durch meine Verbindungen es erreiche, daß Ihre Bitte um eine Unterredung zu Klamm geleitet wird, versprechen Sie mir bis zum Herabkommen der Antwort nichts auf eigene Faust zu unternehmen.«
»Das kann ich nicht versprechen«, sagte K., »sogerne ich Ihre Bitte oder Ihre Laune erfüllen wollte. Die Sache drängt nämlich, besonders nach dem ungünstigen Ergebnis meiner Besprechung mit dem Vorsteher.«
»Dieser Einwand entfällt«, sagte die Wirtin, »der Vorsteher ist eine ganz belanglose Person. Haben Sie denn das nicht bemerkt? Er könnte keinen Tag in seiner Stellung bleiben, wenn nicht seine Frau wäre, die alles führt.«
»Mizzi?« fragte K. Die Wirtin nickte. »Sie war dabei«, sagte K.
»Hat sie sich geäußert?« fragte die Wirtin.
»Nein«, sagte K., »ich hatte aber auch nicht den Eindruck, daß sie das könnte.«
»Nun ja«, sagte die Wirtin, »so irrig sehen Sie alles hier an. Jedenfalls: was der Vorsteher über Sie verfügt hat, hat keine Bedeutung und mit der Frau werde ich gelegentlich reden. Und wenn ich Ihnen nun noch verspreche, daß die Antwort Klamms spätestens in einer Woche kommen wird, haben Sie wohl keinen Grund mehr mir nicht nachzugeben.«
»Das alles ist nicht entscheidend«, sagte K., »mein Entschluß steht fest und ich würde ihn auch auszuführen versuchen, wenn eine ablehnende Antwort käme. Wenn ich aber diese Absicht von vornherein habe, kann ich doch nicht vorher um die Unterredung bitten lassen. Was ohne die Bitte vielleicht ein kühner, aber doch gutgläubiger Versuch bleibt, wäre nach einer ablehnenden Antwort offene Widersetzlichkeit. Das wäre freilich viel schlimmer.«
»Schlimmer?« sagte die Wirtin. »Widersetzlichkeit ist es auf jeden Fall. Und nun tun Sie nach Ihrem Willen. Reichen Sie mir den Rock.«
Ohne Rücksicht auf K. zog sie sich den Rock an und eilte in die Küche. Schon seit längerer Zeit hörte man Unruhe von der Wirtsstube her. An das Guckfenster war geklopft worden. Die Gehilfen hatten es einmal aufgestoßen und hereingerufen, daß sie Hunger hätten. Auch andere Gesichter waren dann dort erschienen. Sogar einen leisen aber mehrstimmigen Gesang hörte man.
Freilich, K.’s Gespräch mit der Wirtin hatte das Kochen des Mittagessens sehr verzögert; es war noch nicht fertig aber die Gäste waren versammelt, immerhin hatte niemand gewagt, gegen das Verbot der Wirtin die Küche zu betreten. Nun aber da die Beobachter am Guckfenster meldeten, die Wirtin komme schon, liefen die Mägde gleich in die Küche und als K. die Wirtsstube betrat, strömte die erstaunlich zahlreiche Gesellschaft, mehr als zwanzig Leute, Männer und Frauen, provinzmäßig aber nicht bäuerisch angezogen, vom Guckfenster, wo sie versammelt gewesen waren, zu den Tischen, um sich Plätze zu sichern. Nur an einem kleinen Tischchen in einem Winkel saß schon ein Ehepaar mit einigen Kindern, der Mann, ein freundlicher blauäugiger Herr mit zerrauftem grauen Haar und Bart stand zu den Kindern hinabgebeugt und gab mit einem Messer den Takt zu ihrem Gesang, den er immerfort zu dämpfen bemüht war. Vielleicht wollte er sie durch den Gesang den Hunger vergessen machen. Die Wirtin entschuldigte sich vor der Gesellschaft mit einigen gleichgültig hingesprochenen Worten, niemand machte ihr Vorwürfe. Sie sah sich nach dem Wirt um, der sich aber vor der Schwierigkeit der Lage wohl schon längst geflüchtet hatte. Dann ging sie langsam in die Küche; für K., der zu Frieda in sein Zimmer eilte, hatte sie keinen Blick mehr.
7 Der Lehrer
Oben traf K. den Lehrer. Das Zimmer war erfreulicher Weise kaum wiederzuerkennen, so fleißig war Frieda gewesen. Es war gut gelüftet
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