Das Schloß
das Holz unter ihm war ins Rollen gekommen, er war fast auf den Boden geglitten, er hatte es nicht beachtet, erst jetzt stand er auf, setzte sich auf das Podium, nahm Friedas Hand, die sich ihm schwach zu entziehen suchte, und sagte: »Ich habe in dem Bericht Deine und der Wirtin Meinung nicht immer von einander unterscheiden können.« »Es war nur die Meinung der Wirtin«, sagte Frieda, »ich habe allem zugehört weil ich die Wirtin verehre, aber es war das erste Mal in meinem Leben daß ich ihre Meinung ganz und gar verwarf. So kläglich schien mir alles was sie sagte, so fern jedem Verständnis dessen, wie es mit uns zweien stand. Eher schien mir das vollkommene Gegenteil dessen, was sie sagte, richtig. Ich dachte an den trüben Morgen nach unserer ersten Nacht. Wie Du neben mir knietest mit einem Blick, als sei nun alles verloren. Und wie es sich dann auch wirklich so gestaltete, daß ich, so sehr ich mich anstrengte, Dir nicht half, sondern Dich hinderte. Durch mich wurde die Wirtin Deine Feindin, eine mächtige Feindin, die Du noch immer unterschätzest; meinetwegen, für die Du zu sorgen hattest, mußtest Du um Deine Stelle kämpfen, warst im Nachteil gegenüber dem Gemeindevorsteher, mußtest Dich dem Lehrer unterwerfen, warst den Gehilfen ausgeliefert, das Schlimmste aber: um meinetwillen hattest Du Dich vielleicht gegen Klamm vergangen. Daß Du jetzt immerfort zu Klamm gelangen wolltest, war ja nur das ohnmächtige Streben ihn irgendwie zu versöhnen. Und ich sagte mir, daß die Wirtin, die dies alles gewiß viel besser wisse als ich, mich mit ihren Einflüsterungen nur vor allzu schlimmen Selbstvorwürfen bewahren wolle. Gutgemeinte, aber überflüssige Mühe. Meine Liebe zu Dir hätte mir über alles hinweggeholfen, sie hätte schließlich auch Dich vorwärtsgetragen, wenn nicht hier im Dorf, so anderswo, einen Beweis ihrer Kraft hatte sie ja schon gegeben, vor der Barnabas’schen Familie hat sie Dich gerettet.« »Das war also damals Deine Gegenmeinung«, sagte K., »und was hat sich seitdem geändert?« »Ich weiß nicht«, sagte Frieda und blickte auf K.’s Hand, welche die ihre hielt, »vielleicht hat sich nichts geändert; wenn Du so nah bei mir bist und so ruhig fragst, dann glaube ich, daß sich nichts geändert hat. In Wirklichkeit aber« – sie nahm K. ihre Hand fort, saß ihm aufrecht gegenüber und weinte, ohne ihr Gesicht zu bedecken; frei hielt sie ihm dieses tränenüberflossene Gesicht entgegen, so als weine sie nicht über sich selbst und habe also nichts zu verbergen, sondern als weine sie über K.’s Verrat und so gebüre ihm auch der Jammer ihres Anblicks – »in Wirklichkeit aber hat sich alles geändert, seitdem ich Dich mit dem Jungen habe sprechen hören. Wie unschuldig hast Du begonnen, fragtest nach den häuslichen Verhältnissen, nach dem und jenem, mir war als kämest Du gerade in den Ausschank, zutunlich, offenherzig und suchtest so kindlich-eifrig meinen Blick. Es war kein Unterschied gegen damals und ich wünschte nur die Wirtin wäre hier, hörte Dir zu und versuchte dann noch an ihrer Meinung festzuhalten. Dann aber plötzlich, ich weiß nicht wie es geschah, merkte ich in welcher Absicht Du mit dem Jungen sprachst. Durch die teilnehmenden Worte gewannst Du sein nicht leicht zu gewinnendes Vertrauen, um dann ungestört auf Dein Ziel loszugehn, das ich mehr und mehr erkannte. Dieses Ziel war die Frau. Aus Deinen ihretwegen scheinbar besorgten Reden sprach gänzlich unverdeckt nur die Rücksicht auf Deine Geschäfte. Du betrogst die Frau noch ehe Du sie gewonnen hast. Nicht nur meine Vergangenheit auch meine Zukunft hörte ich aus Deinen Worten, es war mir als sitze die Wirtin neben mir und erkläre mir alles und ich suche sie mit allen Kräften wegzudrängen, sehe aber klar die Hoffnungslosigkeit solcher Anstrengung und dabei war es ja eigentlich gar nicht mehr ich, die betrogen wurde, nicht einmal betrogen wurde ich schon, sondern die fremde Frau. Und als ich mich dann noch aufraffte und Hans fragte was er werden wolle und er sagte, er wolle werden wie Du, Dir also schon so vollkommen gehörte, was war denn jetzt für ein großer Unterschied zwischen ihm, dem guten Jungen der hier mißbraucht wurde, und mir, damals, im Ausschank?«
»Alles«, sagte K., durch die Gewöhnung an den Vorwurf hatte er sich gefaßt, »alles was Du sagst, ist in gewissem Sinne richtig, unwahr ist es nicht, nur feindselig ist es. Es sind Gedanken der Wirtin, meiner Feindin, auch wenn Du
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