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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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Gymnastikanzug. »Mich.«
    »Oh, Louise!« Cora schlug die Hände zusammen. »Ich freue mich ja so für dich!« Sie meinte es ehrlich. Einen Moment lang war ihre eigene Enttäuschung vergessen. Cora wusste, wie sehr Louise sich nach einem Platz in der Truppe gesehnt, wie hart sie dafür gearbeitet hatte. Es war schön zu erleben, wie ein Traum in Erfüllung ging, auch wenn es der Traum eines anderen Menschen war.
    »Ist das nicht der Hammer? Was? Ich muss sofort Mutter telegrafieren. Das können wir auf dem Heimweg machen.«
    Ein großes, dünnes Mädchen, dessen schmales Gesicht vor Schweiß glänzte, kam aus der Studiotür. Als sie auf der Treppe an ihnen vorbeiging, warf sie Louise einen feindseligen Blick zu. Louise lächelte und winkte.
    »Wer hätte das gedacht?«, rief sie dem Mädchen nach. »Ich kleines Würstchen! Die Einzige, die sie genommen haben!« Als das Mädchen am Ende der Treppe verschwand, drehte sich Louise strahlend zu Cora um. »Ich soll gleich anfangen. Ich fahre nach Philadelphia und trete morgen Abend mit der Truppe auf.«
    »Philadelphia?« Cora lehnte sich ans Treppengeländer. »Morgen? Ich verstehe nicht …«
    »Ich wusste, dass Sie mir nicht glauben würden. Ich habe es denen gleich gesagt! Miss Ruth wird es Ihnen erklären.« Sie zog Cora nicht sonderlich sanft am Ellbogen. »Los, fragen Sie sie! Fragen Sie sie selbst. Sie wartet schon.«
    Unten im Studio stand Ruth St. Denis in perfekter Haltung neben dem Klavier, ihr weißes Haar im Nacken zu einem Knoten geschlungen, ihre bloßen Füße unter dem tiefen Saum ihres weiten schwarzen Rockes kaum sichtbar. Sie bestätigte Cora, dass alles, was Louise ihr erzählt hatte, korrekt war. Louise sollte morgen eine Reisetasche mitbringen. Die Truppe, zu der jetzt auch Louise gehörte, würde direkt nach dem Unterricht nach Philadelphia fahren. Da die Aufführung spät enden würde, wollten sie in Philadelphia in einem Hotel übernachten, aber am nächsten Morgen früh aufbrechen und rechtzeitig zum Unterricht wieder da sein.
    »Es gibt keinen Grund zur Sorge«, versicherte sie Cora. Ein Jadearmband rutschte zu ihrem Ellbogen hinunter, als sie eine wegwerfende Handbewegung machte. »Ich fahre mit und übernehme persönlich die Verantwortung für Louise.« Sie wandte sich an Louise. »Wir werden in einem Zimmer schlafen.«
    Louise, deren Abneigung gegen erzwungenes Lächeln offenbar immer noch galt, verzog keine Miene.
    »Und wenn in Philadelphia alles gut geht«, fuhr St. Denis fort und warf Louise einen eindringlichen Blick zu, »was bedeutet, auf der ganzen Fahrt, was bedeutet, dass Louise beweist, dass sie dem Moralkodex von Denishawn ebenso genügt wie den ästhetischen Anforderungen, kann sie sich der Truppe anschließen.« Sie richtete den Blick wieder auf Cora. »Als Mitglied könnte sie in die Pension einziehen, in der wir schon ab Ende nächster Woche wohnen werden. Wir haben getrennte Stockwerke für Männer und Frauen und natürlich unsere eigene Anstandsdame.«
    Louise sah Cora bittend an. »Dann könnten Sie nach Hause fahren«, sagte sie. »Wenn Sie wollen, schon morgen. Das geht bestimmt in Ordnung.«
    Ohne Coras Antwort abzuwarten, drehte sie sich um und lief in den Umkleideraum. Cora sah ihr mit unbewegter Miene nach. Trotz der Ehrfurcht gebietenden St. Denis als Ersatz betrachtete Louise Coras verfrühte Abreise als Glücksfall, vielleicht gleichwertig mit der Reise nach Philadelphia und der Einladung, sich der Tanztruppe anzuschließen. Nun, sie hatte recht, dachte Cora. Es war ein Glücksfall. Sie hatte bestimmt weder einen Grund noch den Wunsch, länger zu bleiben. Genau wie Louise hatte sie ihr Ziel erreicht. Sie war mit Fragen nach New York gekommen, und jetzt hatte sie Antworten, so bedauerlich sie auch sein mochten. Vielleicht würde daheim in Wichita der Schmerz, den sie jetzt empfand, nachlassen, und sie würde letzten Endes froh sein, dass sie nach New York gekommen war, erleichtert, dass sie wenigstens mit ihrer Mutter hatte sprechen können, wenn auch nur ein einziges Mal, und den Namen ihres Vaters erfahren hatte. Und sie nahm Erinnerungen an Broadway-Shows und U-Bahn-Fahrten und ein Gebäude mit sechzig Stockwerken mit. Und die Erinnerung an Joseph Schmidt, an den Tag, als sie das Radio im Kinderwagen transportiert hatten, an das Gefühl von Freiheit und Sorglosigkeit, an seine Finger auf ihrem Nacken, an seinen Blick, der ihren traf. Sie würde sich an Begehren erinnern, Begehren, das sie empfunden und bei

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