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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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Ende für ein Buch. Was für ein Dummkopf, was für eine Verschwendung. Sie spürte, wie sich ihre Miene verfinsterte und sich ihr Gesicht in Falten legte. Louise und ihre Mutter hatten wahrscheinlich recht – irgendwann würden die Falten bleiben und sie älter machen. Und jetzt wusste Cora, wie sie altern würde, wie sie in zwanzig, vielleicht auch weniger Jahren aussehen würde. Wie Mary O’Dell.
    Louise machte die Badezimmertür auf. Schweigend stand sie in der Tür und wartete offensichtlich darauf, dass Cora aufblickte. Cora sah sie gereizt an, aber jetzt wandte Louise den Blick ab und kaute auf einer schwarzen Haarsträhne herum. Sie trug immer noch die hochhackigen Schuhe und trat von einem Fuß auf den anderen, sodass der Saum ihres Nachthemdes um ihre Knie wehte.
    »Haben Sie von der Schießerei gestern Abend gehört?«
    Obwohl Louise immer noch wegsah, schüttelte Cora den Kopf. Louise drehte sich zu ihr um und sah sie fragend an.
    »Nein«, sagte Cora, »habe ich nicht.«
    »Oh. Wie auch immer, morgen steht es bestimmt in der Zeitung. Ein Mädchen hat im Unterricht davon erzählt. Es war nur einen Block von dort, wo sie wohnt, entfernt.« Sie hielt sich am Türrahmen fest, als sie aus den Schuhen stieg. »Sie hat gesagt, dass ein Beamter der Prohibitionsbehörde einen Hinweis auf eine illegale Schnapsbrennerei bekam, und als die Polizei der Sache nachging, fing jemand an zu schießen. Ein Junge, der im Hausflur stand, wurde getötet. Das Mädchen in meiner Klasse hat gesagt, dass überall auf der Treppe Blut und vielleicht auch sein Gehirn war.«
    Cora, die wie immer, wenn sie hörte, dass irgendein Junge verletzt oder getötet worden war, sofort an Howard und Earle dachte, fuhr zusammen. »Schrecklich«, sagte sie.
    »Ja.« Louise ging zum Bett, in jeder Hand einen Schuh. »Sie hat gesagt, dass es in ihrer Nachbarschaft viel schlimmer zugeht, seit es die Prohibition gibt. Sie hat gesagt, dass früher nie so etwas passiert ist. Es war eine sichere Gegend.«
    Cora nickte zurückhaltend. Sie kannte Louise gut genug, um zu wissen, dass sie Streit suchte. »Da bin ich mir nicht so sicher«, murmelte Cora und rutschte unter ihre Decke. »Schlimm, dass sich der Junge mit Schwarzhändlern und Schnapsbrennern eingelassen hat.«
    »Hat er nicht.« Louise ließ ihre Schuhe auf ihrer Seite des Bettes auf den Boden fallen. »Er hatte überhaupt nichts mit der Brennerei zu tun. Er hat mit seiner Familie bloß in dem Haus gewohnt und war zufällig im Flur. Das Mädchen aus meiner Klasse hat gesagt, dass sie ihn schon eine Ewigkeit gekannt hat und dass er ein richtig netter Junge war.«
    Cora schwieg und lauschte auf das Surren des Ventilators. Sie würde sich nicht auf eine Auseinandersetzung einlassen. Dazu fehlte ihr heute Abend die Kraft.
    Louise seufzte und legte sich aufs Bett. Sie duftete nach Zahncreme und Talkumpuder. Die Nächte waren so warm, dass sie sich nur mit dem Überlaken zudeckten und die dünne Baumwolldecke zusammengefaltet am Bettende liegen ließen. »So ein Quatsch«, sagte Louise und zog die Decke hoch. »Es wird immer noch getrunken. Und daran wird sich nichts ändern. Die Leute wollen trinken. So ist es eben.« Sie musterte mit zusammengekniffenen Augen den Kragen von Coras Nachthemd. »Ist es bequem, in dem Ding zu schlafen? Ich meine diese Spitze am Hals. Das kann doch nicht angenehm sein. Und was hält Ihr Mann eigentlich davon?«
    Cora antwortete nicht. Sie tastete nach der Lampe. Sie würde sich zu nichts äußern, nicht zu ihrem Nachthemd, nicht zur Prohibition, zu gar nichts. Sie wollte bloß schlafen und nichts mehr fühlen, damit dieser lange Tag endlich vorbei war.
    Und sie schlief fast sofort ein. Aber sie hatte lebhafte Träume, und an einen Traum sollte sie sich am nächsten Morgen und noch lange Zeit danach erinnern: Sie war im Nachthemd – sie spürte die Spitze am Stehkragen, die weiche Baumwolle an ihren Beinen –, aber sie befand sich in ihrem Esszimmer daheim in Wichita. Alan und Raymond saßen mit ihr am Tisch; beide trugen Anzüge und tranken aus Teetassen. Sie waren nett zu ihr und machten angeregt Konversation, aber eine von Alans Händen war unter dem Tisch und eine von Raymond Walkers Händen auch, und sie sah den beiden an, dass irgendetwas Verbotenes vorging. Sie schaute nicht nach, weil es überflüssig war. Sie merkte es an ihrem Lächeln, ihrem verschmitzten Grinsen. Und sie war wütend darüber, furchtbar wütend. Als sie ihre Teetasse an ihren Mund hob, war

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