Das Schmetterlingsmädchen - Roman
hinaufstieg, fing Louise an, nach ihm zu treten und zu schlagen, und protestierte. Einer ihrer Schuhe fiel ihr auf dem zweiten Treppenabsatz vom Fuß, aber Cora, die hinter den beiden herging, hob ihn nicht auf. Vielleicht war der Schuh morgen früh ja noch da. Vielleicht auch nicht. Sie fand, dass Louise es verdient hatte, ihn zu verlieren.
Vor ihrer Tür blieb Floyd schwer atmend stehen, als Cora den Schlüssel ins Schloss steckte. Auch Louise, die sich auf dem Weg nach oben ein bisschen erholt hatte, atmete hörbar aus, aber sie machte es absichtlich, zum Spaß, und pustete ihren säuerlichen Atem auf Coras Wange. »Gefällt Ihnen das, Cora?«, nuschelte sie. »Das ist Gin, jawohl, so ist es. Sollten Sie auch mal probieren. Vielleicht sind Sie dann nicht mehr so ein verklemmtes Arschloch.«
Cora öffnete die Tür und ging durch die Küche ins Schlafzimmer. »Einfach aufs Bett legen«, sagte sie und knipste das Deckenlicht an. Floyd ließ Louise nicht allzu sanft aufs Bett fallen und trat immer noch schwer atmend und mit gerötetem Gesicht zurück. Cora fiel auf, dass er nicht mehr zerknirscht wirkte. Im Gegenteil, er schien sich schlecht behandelt zu fühlen. Hoffentlich war er nicht der Meinung, er hätte Absolution verdient, nur weil er Louise nach oben getragen hatte, dachte Cora. Das war das Mindeste, was er tun konnte.
»Es ist nichts passiert«, sagte er. »Gar nichts. Ich wollte sie bloß nach Haus bringen.«
Sie starrte ihn an und versuchte ein Anzeichen echter Aufrichtigkeit zu erkennen. Sie wollte ihm gern glauben. Sie wollte es unbedingt. Aber er könnte alles sagen, um seine Haut zu retten. Die leichte Röte auf seinen Wangen ließ ihn jünger erscheinen, als er war, jungenhaft. Vielleicht sagte er die Wahrheit. Aber genau das war der Haken – sie konnte es unmöglich wissen.
Cora warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Warum sind Sie noch hier?«
Er hob abwehrend beide Hände und machte sich schnell davon. Die Tür zum Treppenhaus schlug hinter ihm zu. Louise, die auf der Seite lag, die nackten Knie ans Kinn gezogen, fing wieder an zu lachen. Aber auf einmal brach sie abrupt ab, und ihre schmalen dunklen Augenbrauen senkten sich. Ihre Hand fuhr zu ihrem Bauch, und sie sah völlig ernüchtert aus, fast ängstlich.
»Oh. Oh, oh. Ich glaube, mir wird schlecht.«
Cora runzelte die Stirn. Das war vermutlich alles, was das Mädchen an Reue empfinden würde. Sie hatte kein bisschen Mitleid. »Na, dann geh um Himmels willen ins Badezimmer! Und glaub nicht, dass ich dich trage! Wenn du nicht gehen kannst, dann kriech eben!«
Zu ihrer Überraschung tat Louise genau das. Sie rollte sich herum, dass sie bäuchlings auf dem Bett lag, und streckte beide Hände nach dem Fußboden aus. Als sie versuchte, den Rest ihres Körpers auf den Boden rutschen zu lassen, verlor sie den Halt und fiel vornüber, sodass sich der Saum ihres Nachthemdes nach oben schob. Aber sie erholte sich. Leise stöhnend krabbelte sie wie ein Kleinkind zum dunklen Badezimmer. Zu Coras Erleichterung trug sie Unterwäsche.
Cora folgte ihr und schaltete das Licht an. Zwei schillernde Küchenschaben huschten in den Abfluss des Waschbeckens, und Louise, die neben der Toilette kauerte, hielt sich ihren Unterarm vor die Augen. Cora, die sich schwach und zwischen den roten Wänden des Badezimmers wie eingemauert fühlte, lehnte sich ans Waschbecken. Sie wollte wieder ins Bett und weiterschlafen, aber wenn sie Antworten bekommen wollte, ehrliche Antworten, musste sie jetzt fragen.
»Wo hattet ihr den Schnaps her? Wo hatte Floyd ihn her?«
Louise, deren Augen immer noch hinter ihrem blassen Arm verborgen waren, lächelte. »Weiß nich’. Ich bin einfach mit ihm mitgegangen.« Ihr »ihm« klang wie »im«; die neue, deutliche Aussprache war verschwunden. »Eine verflixt kleine Bude, Cora. Man geht da rein wie in eine Telefonzelle, aber wenn man auf die richtige Art an die Wand klopft, geht eine Tür auf und man ist in einem Zimmer. Clever, was?«
»Eine Flüsterkneipe also.«
»Sieh mal einer an. Sie kennen sich ja richtig aus. Ich bin beeindruckt.«
Cora hätte ihr am liebsten einen Tritt versetzt. Sie war wütend genug, um das Mädchen zu packen und so lange zu schütteln, bis sie nüchtern genug war, um zu begreifen, dass die Angelegenheit sehr ernst und ihre übliche Schnoddrigkeit fehl am Platz war. Sie war ohne Begleitung mit einem Jungen ausgegangen und sturzbetrunken zurückgekommen. Cora würde ihre Eltern anrufen müssen. Und
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