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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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Vielleicht war sie tatsächlich so nonchalant, so über den Dingen stehend und so anders in ihrem Denken als Cora, dass sie einander nicht verstehen konnten. Aber es war ihr trotzdem nicht möglich, einfach aufzugeben.
    »Er hat etwas sehr Schlimmes getan, Louise. Wenn das, was du sagst, stimmt, hat er etwas sehr, sehr Schlimmes getan. Er hat seine Position ausgenutzt. Und wann ist das passiert? Letztes Jahr? Als du vierzehn warst? Dreizehn?«
    »O Gott! Regen Sie sich ab, ja? Wenn Sie es genau wissen wollen, er war nicht mal mein Erster.« Wieder lachte sie und rieb sich die Nase. »Okay? Wie finden Sie das, Cora? Jetzt werden Sie echt durchdrehen. Ich war schon kompromittiert, bevor wir nach Wichita gezogen sind. Okay? Lange vor Eddie. Wie gefällt Ihnen das?«
    Noch eine Küchenschabe tauchte hinter der Toilette auf und huschte in einen Spalt an der gegenüberliegenden Wand. Cora starrte sie benommen an. Vielleicht war dieses nächtliche Elend nur ein Albtraum, genauso wenig real wie die Szene, in der sie mit Raymond Walker und Alan Bier aus Teetassen getrunken hatte. Aber die Schabe wirkte real. Und die Kacheln auf dem Boden fühlten sich unter ihr hart und glatt an. Die rote Farbe an den Wänden sah genauso knallig aus wie bei Tageslicht. Und Louise hatte echte Spucke am Kinn.
    »Wovon redest du, Louise? Deine Familie lebt schon seit Jahren in Wichita.«
    »Erst seit vier Jahren.«
    »Soll das heißen, dass du schon eine Affäre hattest, als du elf warst?«
    Louise sah sie mit einem so leeren Blick an, dass Cora ihren Sarkasmus bereute. Aber sie konnte es sich nicht vorstellen. Sie konnte es sich einfach nicht vorstellen. Noch nie im Leben hatte sie ein derartiges Gespräch geführt.
    »Keine Affäre«, sagte Louise matt und streckte ihre Zehen. »Aber wir waren befreundet. Er war zu allen Kindern nett. Aber am nettesten zu mir. Und ich war die, die in sein Haus ging.«
    »Wessen Haus? Wovon redest du?«
    »Mr. Flowers. Er wohnte wie wir in Cherryvale. Er war zu allen nett, auch zu meinen Brüdern. June war noch zu klein, um mit uns zu spielen. Er sagte, dass er Popcorn im Haus hätte. Er ließ Süßigkeiten auf der Veranda liegen. Deshalb ging ich hin. Ich war die Einzige, die hinging.« Sie spitzte die Lippen. »Komisch, nicht? Ich habe meine Jungfräulichkeit in Cherryvale verloren. Ich wurde von Mr. Flowers defloriert. Irgendwie witzig.«
    Cora legte eine Hand über ihre Augen. Etwas in ihr wollte glauben, dass Louise nur ihr Spielchen mit ihr trieb und sich eine Schauergeschichte ausdachte, um sie von dem gegenwärtigen Problem abzulenken. Aber das war eine andere Louise, diese betrunkene Louise, die ohne jede Grazie an der Wanne lehnte, das schwarze Haar hinter die Ohren geschoben, die Nasenspitze noch gerötet. Coras Körper glaubte ihr, ihr Atem ging flach und schnell. Obwohl sie nicht einmal ein Korsett trug, bekam sie kaum Luft.
    »Als du ein Kind warst?« Sie brachte die Worte nur noch flüsternd hervor. »Louise? Du warst elf?«
    »Nein. Das war zwei Jahre bevor wir umgezogen sind.« Sie starrte stirnrunzelnd auf den gekachelten Boden. »Ich kam nach Hause und sagte es meiner Mutter, und sie war wütend, schrecklich wütend auf mich.«
    Cora starrte sie an. Neun also. Neun Jahre alt.
    »Sie sagte, dass ich ihn bestimmt irgendwie angemacht hatte. Aber eigentlich kann ich mich nur erinnern, dass ich das Popcorn wollte.«
    Ein erwachsener Mann, dachte Cora. Ein erwachsener Mann, der ein Kind mit Popcorn verführte. Wozu? Um welche Art von Verlangen zu stillen? Nie wäre sie auf einen solchen Gedanken gekommen. Nie hatte sie etwas Derartiges gehört.
    »Hat sie die Polizei verständigt? Hat sie es deinem Vater gesagt?«
    Die Frage schien Louise zu überraschen, als hätte sie daran noch nie gedacht. »Vielleicht hat sie es ihm gesagt. Aber mir hat sie eingeschärft, niemandem etwas zu erzählen, weil die Leute sonst über mich reden würden. Und nicht wieder zu ihm rüberzugehen. Und mehr darauf zu achten, wie ich mich benehme.«
    »Du warst ein Kind.«
    Sie zog die dunklen Augenbrauen zusammen und schüttelte den Kopf, als ginge ihr Cora mit ihren geistlosen Kommentaren auf die Nerven. »Das war egal. Schon damals war etwas Besonderes an mir, etwas, das er gesehen hat. Das hat sie gemeint.«
    Cora dachte an ihren ersten Tag in New York zurück und unterdrückte ein Stöhnen. Was hatte sie zu Louise gesagt? Was für einen Schwachsinn hatte sie wegen der tief ausgeschnittenen Bluse von sich gegeben?

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