Das Schmetterlingsmädchen - Roman
Unbefangenheit in seiner Stimme. Als würde sie sich für das, was sie andeutete, nicht schämen. Und was sie andeutete, war schrecklich.
»Was sagst du da? Soll das heißen … Louise. Was meinst du?«
»Ich meine, dass wir eine Affäre hatten, Dummerchen.« Sie zupfte am Saum ihres Nachthemdes und ließ es wieder auf ihre Knie fallen. »Das hat er mir gekauft. Süß, nicht? Er hat mich darin fotografiert. Echt schöne Bilder. Er hat ein gutes Auge. Aus ihm hätte ein Künstler werden können, aber seine Frau wurde schwanger.«
Cora spürte die harten Kacheln unter sich, die feuchtwarme Luft im Raum. »Louise. Edward Vincent ist in Wichita ein geachteter Mann. Das ist eine schwerwiegende Unterstellung.«
»Ich unterstelle gar nichts.« Sie studierte ihren Handrücken. »Ich erzähle Ihnen, dass wir eine Affäre hatten. Ich war seine Geliebte.«
Cora suchte in den Augen des Mädchens nach einem Zeichen von Furcht oder Reue, irgendeinem Hinweis, dass sie möglicherweise log oder zumindest übertrieb. Aber nichts dergleichen war zu sehen. Sie wirkte selbstbewusst, sogar stolz.
»Oh, Louise.« Cora war übel. »Wenn das stimmt, wenn diese schreckliche Sache, die du mir da erzählst, wahr ist, war es keine Affäre. Du warst nicht seine Geliebte. Edward Vincent ist älter als ich. Er unterrichtet in der Sonntagschule.« Sie schüttelte ernst den Kopf. »Ich muss es deiner Mutter sagen.«
Louise gähnte, ein hoher, trillernder Laut entwich ihrer Kehle. »Oh, ich denke, sie weiß es. Sie wusste, dass er Fotos von mir gemacht hat, dass ich für ihn Modell gestanden habe. Sie dachte, ich könnte die Bilder vielleicht für meine Karriere brauchen. Wir sind nicht ins Detail gegangen.« Sie sah Cora vorwurfsvoll an. »Ich glaube nicht, dass sie mit Ihnen darüber sprechen möchte. Es wäre ihr wahrscheinlich nicht angenehm, so … private Dinge mit Ihnen zu erörtern.«
Cora legte eine Hand an ihren Hals. Es war, als hätten sauer Erbrochenes und Gin irgendwie in ihren eigenen Magen gefunden. Edward Vincent mit seinem glatt gekämmten Haar und dem selbstgefälligen Lächeln, wenn er neben seiner Frau in der Kirche in der ersten Reihe saß. Und Myra? Was für eine Mutter ließ zu, dass derartige Bilder von ihrer Tochter gemacht wurden? Was war mit dieser Frau los?
»Louise«, sagte sie ruhig, »bist du sicher, dass ihr das volle Ausmaß dessen, was passiert ist, bewusst ist? Ich kann kaum glauben, dass eine Mutter nichts unternehmen würde, wenn sie wüsste, dass ein verheirateter Mann mittleren Alters ihre vierzehnjährige Tochter … kompromittiert hat.«
»Er hat mich nicht kompromittiert. Warum benutzen Sie ständig dieses Wort, Cora? Wir haben gefickt, okay?« Sie lächelte boshaft und lachte dann. »Ich ficke gern. Sie vielleicht nicht, ich schon.«
Cora wandte den Blick ab. Falls das Mädchen sie mit seiner Ausdrucksweise, seiner unbekümmerten Vulgarität schockieren wollte, war es ihm gelungen. Und sie schien es zu genießen, das emanzipierte, moderne Mädchen zu spielen und Cora und alle anderen Frauen ihrer Generation vor den Kopf zu stoßen. Aber als Cora sich wieder umdrehte und das Mädchen forschend ansah, schien ihr Louises Gesichtsausdruck weniger Emanzipation als vielmehr gespielte Sorglosigkeit und Prahlerei zu zeigen, unterlegt mit echter Verunsicherung.
»Nein, Louise. Nein. Wenn das, was du sagst, wahr ist, hat Edward Vincent dich ausgenutzt. Du warst ein Kind. Du bist es immer noch.«
»Sie wissen nicht, wovon Sie reden. Ich habe gesagt, dass es mir Spaß gemacht hat, und das stimmt. Ich habe gern mit ihm gefickt, Cora. Sie sind bloß zu alt und scheintot, um das zu verstehen.«
Cora sog so fest an ihrer Lippe, dass es wehtat. Auch betrunken und wahllos um sich schlagend wusste Louise genau, wo sie einen Treffer landen konnte. Aber darauf kam es jetzt nicht an.
»Der Pfarrer muss es erfahren.«
»Nein! Nein. Machen Sie Eddie bloß keine Schwierigkeiten. Mein Gott!«
»Er unterrichtet immer noch an der Sonntagsschule.«
»Na und?«
»Was ist mit den anderen Mädchen?«
Die dunklen Augen wanderten zur Decke. »Was soll mit ihnen sein. Es ist schließlich nicht so, dass er sexbesessen ist. Er hatte ausschließlich eine Vorliebe für mich. Ich sehe nicht, was daran verkehrt sein soll. Und wenn ein anderes Mädchen ihn als Nächste bekommt, schön für sie. Ich bin in New York. Was interessiert es mich?«
Sie war überzeugend, fand Cora. Vielleicht war ihr Auftreten doch nicht nur gespielt.
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