Das Schmetterlingsmädchen - Roman
mitten in der Nacht allein durch New York zu ziehen. Wusste sie nicht, dass Cora nur ein Wort zu Ruth St. Denis sagen musste, nur ein einziges Wort, und Louise Philadelphia und ihre Aufnahme in die Truppe vergessen konnte?
Cora schaltete das Licht aus, damit sie aus dem Fenster schauen konnte, ohne gesehen zu werden. Dummes Ding, dachte Cora, während ihr Blick besorgt die Straße hinauf- und hinunterwanderte. Vielleicht sollte sie es St. Denis wirklich sagen. Es würde Louise recht geschehen, jetzt nach Kansas zurückzumüssen, wegen ihres kindischen Verhaltens alles zu verlieren. Aber noch während ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging, wusste Cora, dass sie Ruth St. Denis nichts erzählen würde. Louise hatte eine Strafe verdient, sicher, aber Cora wollte nicht, dass sie alles verlor, wenn sie dem Ziel schon so nahe war, die einzige Schülerin, die ausgewählt worden war.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit verging, bevor sie sie entdeckte, zwei Personen, die sich unsicher auf dem Bürgersteig bewegten, wobei die größere von beiden fast aufrecht ging und ihren kleineren Begleiter halb stützte, halb schleppte. Die kleinere Gestalt ging gekrümmt und trug ein helles, ärmelloses Kleid. Als Cora ihre Stirn ans Fenster presste und ihre Augen mit den Händen abschirmte, erkannte sie das kurz geschnittene schwarze Haar. Mit einer Hand am Geländer raste sie barfuß die Treppe hinunter. Auf dem ersten Treppenabsatz konnte sie ihre eigenen Atemzüge hören, und ihre Nasenflügel weiteten sich wie bei einem gereizten Stier. Als sie unten war, rannte sie über den schmuddeligen Boden zum Eingang und versuchte die Haustür aufzureißen, nur um festzustellen, dass sie über Nacht abgesperrt war. Sie schloss auf und stieß die Tür so fest auf, dass sie nach außen schwang und an die Hauswand prallte.
»Oh! Hallo.«
Vor ihr auf den überdachten Stufen stand Floyd Smithers, dessen Fliege lose um seinen Kragen baumelte, sehr aufrecht da und bemühte sich, Louise zu halten, die wie eine Stoffpuppe an ihm hing. Sie trug immer noch das Nachthemd und die hochhackigen Schuhe. Sie hob den Kopf und blinzelte Cora aus trüben Augen an.
»Scheiße! Nicht sie. Bitte nicht! Bring mich irgendwo anders hin. Nicht sie. Nicht jetzt.« Sie runzelte die Stirn und musterte Cora. »Das ist übrigens ein echt scheußliches Nachthemd. Sie sehen aus wie Little Bo Peep 2 .«
Floyd begegnete Coras Blick. Er sah beunruhigt und stocknüchtern aus.
»Ich wollte sie bloß nach Hause bringen«, sagte er.
Einen Moment lang brachte Cora kein Wort heraus. Am liebsten hätte sie ihm sein hübsches Collegestudentengesicht mit dem Hausschlüssel, der scharfkantig in ihrer Hand lag, zerkratzt. Er war schuld, weit mehr als Louise. Jetzt wusste sie, worüber die beiden beim Abendessen getuschelt hatten. Er hatte alles geplant, um ein fünfzehnjähriges Mädchen aus dem Haus zu locken und so betrunken zu machen, dass es sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte, damit er … was? Die Nacht war immer noch warm und drückend, aber ihr lief ein Schauer über den Rücken.
»Sie sind widerwärtig«, zischte sie. »Ich sollte die Polizei rufen.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich wollte nicht …« Louise schwankte bedenklich, und er verlagerte seine Stellung, um sie besser stützen zu können.
»Ich kann mir denken, welche Absichten Sie hatten.« Sie ging zu Louise und legte einen schlaffen, nackten Arm um ihren Hals. »Ich übernehme jetzt, danke schön. Aber keine Sorge, Sie hören noch von mir. Und von den Behörden. Sie ist ein Kind, fünfzehn Jahre alt. Das wussten Sie.«
Er löste sich von Louise und trat zur Seite. Louise sackte mit ihrem ganzen Gewicht auf Cora, und sie taumelten und wären beinahe an die Hauswand gefallen. Für eine so kleine Person war Louise erstaunlich schwer, vollgesogen wie ein nasser Schwamm, und es war nicht leicht, sich an dem seidenen Nachthemd festzuhalten. Cora richtete sich auf, schlang ihren freien Arm um Louises Taille und machte vorsichtig einen Schritt auf das Treppenhaus zu. Louise rollte den Kopf hin und her und murmelte etwas Unverständliches. Ihr Atem roch nach saurer Milch und Wacholder.
»Floyd.« Cora drehte sich um. Sie war sich nicht sicher, ob er noch da war. »Floyd?«
»Ja?«
Sie schloss die Augen. »Es ist im dritten Stock. Ich brauche Ihre Hilfe.«
Er war sofort bei ihnen und legte einen Arm unter Louises Knie und den anderen unter ihre Schultern. Wortlos ging er zur Treppe. Sowie er die Stufen
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