Das Schmetterlingsmädchen - Roman
Welland und hält sich deshalb noch für edel. Was für ein Idiot! Er hat sein Elend verdient. Aber ich weiß nicht, ob er ein Buch verdient hat.«
Cora starrte auf ihr Buch. Verliebt in Gräfin Olenska? Eine geschiedene Frau? Das hatte Cora nicht erwartet. Dass er sie begehrte, eventuell. Vielleicht hatte das Mädchen das Ganze missverstanden. Vielleicht kannte sie den Unterschied nicht.
»Oh.« Louise, jetzt wieder ganz Kind, hielt sich die Hand vor den Mund. »Habe ich es Ihnen jetzt verdorben? Tut mir leid.«
»Keineswegs«, sagte Cora. »Ich lese es wegen der Sprache, nicht wegen der Handlung.« Sie hatte einmal gehört, wie jemand das sagte, und jetzt schien eine gute Gelegenheit, den Satz anzubringen. Sie schaute aus dem Fenster, sodass sie das schwarze Haar des Mädchens nur noch aus dem Augenwinkel sah. Die Prärie sah heiß und windstill aus. Eine Herde Angus-Rinder stand knietief in einem schlammigen Teich, die meisten in den Schatten einer einzelnen Weide gedrängt. Wahrscheinlich würde der Zug an der alten Farm vorbeifahren, nicht direkt, aber in der Nähe. Sie erinnerte sich, wie sie früher in völliger Dunkelheit im Bett gelegen und den schrillen Pfiffen der Lokomotive gelauscht hatte.
»Ihr Mann sieht gut aus.«
Cora blickte überrascht auf. »Oh. Ja. Danke.«
»Wie alt ist er?«
»Wie bitte?«
»Wie alt ist er?«
»Achtundvierzig.«
»Viel älter als Sie.«
»Nicht so viel älter«, sagte Cora, die nicht wusste, ob das ein Kompliment an sie war.
»Mein Vater ist fast zwanzig Jahre älter als meine Mutter. Er ist so alt wie ihr Vater.«
»Oh.« Cora lächelte. »Nun, das ist nicht ungewöhnlich. Es sind häufig gute Ehen, wenn der Mann älter ist.«
Das Mädchen starrte Cora an, als hätte sie eine Lebensweisheit ausgesprochen, die sich der allgemeinen Kenntnis entzog.
»Alles in Ordnung, meine Liebe?«
Louise nickte, und eine schwarze Strähne strich über ihre Wange. »Ja.« Sie starrte auf ihre Hände, die sie im Schoß verschränkt hatte. Und dann, als würde sie gewaltsam einen Bann brechen, blinzelte sie und blickte auf. »Meine Mutter bedauert es. Dass sie meinen Vater geheiratet hat, meine ich.«
Cora sog scharf Luft ein. »Das solltest du mir nicht sagen. Es geht mich nichts an.« Sie wandte den Blick ab, um zu beweisen, dass sie es ernst meinte.
»Das würde ihr nichts ausmachen. Es ist nichts Persönliches. Sie hat nichts gegen ihn. Oder uns. Sie mag einfach ihr Leben nicht. Sie wollte nicht heiraten, aber ihr Vater hat sie dazu gebracht, weil mein Vater Geld hatte. Sie wollte auch keine Kinder haben.«
Cora sah sie wieder an. »Wer hat dir das gesagt?«
»Sie selbst. Und ihm hat sie es auch gesagt, als sie heirateten. Sie hat gesagt, wenn er wirklich heiraten wollte, schön, und wenn er sich Kinder wünschte, würde sie welche bekommen, aber er müsste jemand anders finden, der sich um sie kümmert.« Louise zuckte mit den Achseln. »Hat er aber nicht.«
Cora zögerte. Sie musste ihre Worte sorgfältig wählen. Vielleicht hatte Myra es im Spaß gesagt, wie sie es schon bei anderen Frauen erlebt hatte. Cora hatte für diese Art Humor nichts übrig. Es war nicht lustig, einem Kind zu sagen, dass es nicht erwünscht war. Sie dachte an die kleine June, die im Haus herumwanderte.
»Ich bin überzeugt, dass sie es nicht so gemeint hat.«
»Doch, hat sie.«
Louise klang belustigt, was Cora nicht verstehen konnte. Eine derartige Bemerkung von der eigenen Mutter musste wehtun. Sie schüttelte den Kopf. Was für eine ungerechte Frau Myra doch war. Und was für eine ungerechte Welt.
»Vielleicht hat sie früher einmal so empfunden«, sagte Cora und bedachte Louise mit ihrem gütigsten Blick. »Aber bestimmt vergöttert sie jetzt ihre Kinder. Ihr muss klar sein, wie glücklich sie sich schätzen kann.«
Louise runzelte die Stirn. »Sie hat es nicht auf eine gemeine Art gesagt, falls es das ist, was Sie denken. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass es nichts Persönliches ist.« Sie musterte Cora kühl und lehnte sich zurück. »Es hat nichts mit uns zu tun. Sie hatte sechs jüngere Brüder und Schwestern – die, die überlebt haben, meine ich. Ihre Mutter war dauernd krank, und sie musste sich ständig um ihre Geschwister kümmern. Deshalb hatte sie, schon bevor sie meinen Vater kennenlernte, genug von Kleinkindern. Ich kann es ihr nicht verdenken.«
Cora schwieg betroffen. Sie hatte nie vermutet, dass Myra Brooks aus bescheidenen Verhältnissen stammte.
Louise sah sie
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