Das Schmetterlingsmädchen - Roman
so jung aus, fand Cora, so mädchenhaft. Aber nur manchmal. Und es schien, als beherrschte sie diesen Trick auf Kommando.
Ihr Vater wischte sich über die Stirn und spähte an ihr vorbei zum wartenden Zug. »Angesichts dessen, was diese Schule kostet, erwarte ich, dass du die beste Tänzerin in Wichita bist, wenn du zurückkommst.«
Cora und Alan lächelten. Aber Louise sah ihren Vater bloß an und blinzelte. Einen Moment lang schien es ihr die Sprache verschlagen zu haben; ihr Schmollmund wurde noch betonter, und fast wirkte sie verletzt. Sie alterte vor Coras Augen, und auch ihr Blick war der einer Erwachsenen, als sie ihr Kinn senkte.
»Sei nicht albern. Das bin ich jetzt schon.«
Sie milderte die Worte, soweit es überhaupt möglich war, mit der Andeutung eines Lächelns. Zu Coras Überraschung schien sich Leonard Brooks über die Überheblichkeit seiner Tochter nur zu amüsieren. Entweder das, oder er hatte keine Lust, eine dringend erforderliche Rüge auszusprechen. Cora hätte sich an seiner Stelle eine derartige Unhöflichkeit nicht bieten lassen. Aber sie war nicht an seiner Stelle. Noch nicht.
Schon in wenigen Jahren würde Cora mehr Verständnis für Louises Ärger über die Ignoranz ihres Vaters haben. Die beste Tänzerin in Wichita zu sein war keineswegs ihr größter Ehrgeiz. Schon in wenigen Jahren würde man in Zeitschriften über sie lesen, über ihre Filme, ihr zügelloses Privatleben. Sie würde über zweitausend Fanbriefe pro Woche bekommen, und überall im Land würden Frauen versuchen, ihre Frisur zu kopieren. Noch vor dem Ende des Jahrzehnts würde sie auf zwei Kontinenten eine Berühmtheit sein. Wenn Leonard Brooks dann seine älteste Tochter tanzen und tändeln sehen wollte, würde er wie jeder andere Karten fürs Kino kaufen und sie auf der Leinwand bewundern müssen.
Im Zug hatten sie ihren eigenen offenen Bereich mit zwei gegenüberliegenden Doppelsitzen. Vor den Fenstern hingen Vorhänge aus demselben rotbraunen Samt wie die Sesselbezüge, und über jedem Sitz befand sich eine kleine Leselampe. Da bis Chicago keine Schlafplätze benötigt wurden, gab es zwischen den einzelnen Sitzbereichen keine Trennwände. Normalerweise mochte Cora die offenen Großraumabteile, aber auf dieser speziellen Fahrt war es ihr weniger angenehm. Noch bevor sie aus dem Bahnhof fuhren, fragte sie ein Mann auf der anderen Seite des Mittelgangs, der in Coras Alter sein musste, ob er ihnen dabei behilflich sein könnte, das Fenster zu öffnen. Dieses Angebot hatte er, wie Cora bemerkte, nicht den beiden älteren Frauen gemacht, die direkt hinter ihm saßen – er sprach direkt Louise an. Cora antwortete rasch an ihrer Stelle, dass sie es ihn wissen lassen würde, wenn sie Hilfe bräuchten. Ihr Ton war höflich, aber bestimmt, und ihre eigentliche Botschaft war unmissverständlich: Sie war der Hüter des Schatzes.
Falls Louise Anstoß an Coras ablehnender Haltung nahm, ließ sie es sich nicht anmerken. Das Strahlen auf ihrem Gesicht war nicht zu übersehen und schien niemandem im Besonderen zu gelten. Wo sie auch hinschaute – an die Decke, zu den anderen Fahrgästen oder auf die Douglas Avenue –, ihre Freude war unverkennbar und, wie es schien, so privat, als wäre sie allein. Sie sprach nicht mit Cora, aber als das Stampfen und Schnauben der Maschine zu hören war, lächelte sie, trommelte im Takt mit den Fingern auf ihren Schoß und wippte mit den Zehen. Als schließlich die Pfeife schrillte und der Zug sich in Bewegung setzte, lehnte sie sich zurück, schloss die Augen und stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Es ist aufregend«, bemerkte Cora. Die Jungs hatten Zugfahrten geliebt, als sie klein waren, und auch später noch, als sie älter wurden. Beide hatten immer unbedingt am Fenster sitzen wollen, um die Dampfschwaden zu sehen, und jahrelang, wie es ihr schien, hatte sie auf jeder Fahrt den Schaffner gefragt, ob die zwei die Lok besichtigen durften.
»Das kann man wohl sagen!« Louise belohnte sie mit einem hinreißenden Lächeln, bevor sie wieder aus dem Fenster schaute. Cora atmete Zigarettenrauch und den Duft von Talkumpuder ein. Schräg gegenüber schrie ein Baby in den Armen seiner Mutter. Die Mutter versuchte, es mit gurrenden Lauten und Küssen zu beruhigen, und sah ihre Nachbarn, als sich ihre Bemühungen als vergeblich erwiesen, entschuldigend an. Cora fing ihren Blick auf und lächelte.
»Lebe wohl, Wichita!« Louise winkte der Douglas Avenue und dem unablässigen Strom dunkler Autos, die
Weitere Kostenlose Bücher