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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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unverwandt an. »Und sie kann nur lesen, weil sie Bücher und Musik so sehr liebt. Sie hat es sich selbst beigebracht.« Sie hob ihr Kinn. »Sie hat sich alles selbst beigebracht. Und sie weiß viel mehr, als die meisten Leute ahnen.«
    Cora nickte eifrig. Sie hatte Louise nicht wegen ihrer Mutter in die Defensive drängen wollen. Sie legte ihre Hand an ihre linke Schläfe. Im Waggon wurde es immer wärmer.
    »Wie auch immer.« Louise hielt inne, um eine Kaugummiblase platzen zu lassen. »Ich habe nicht vor, mir einen Stall voller Kinder zuzulegen. Oder auch nur eines. Das steht fest.«
    Cora lächelte. »Nun, du hast noch viel Zeit, deine Meinung zu ändern.«
    »Werde ich nicht.«
    Sie saßen schweigend da; Louise schaute aus dem Fenster, Cora auf den Mittelgang. Es wäre klüger, sagte sie sich, dieses Thema nicht weiter zu verfolgen und das Mädchen glauben zu lassen, was es wollte. Die Zeit würde es weisen. Aber sie war irritiert. Die Stimme des Mädchens klang so selbstbewusst und überzeugt, als wüsste Louise ohne jeden Zweifel, dass sie recht behalten würde.
    »Man empfindet anders, wenn man verliebt ist«, sagte Cora. »Du kannst es dir jetzt vielleicht nicht vorstellen, aber eines Tages möchtest du möglicherweise heiraten.«
    »Hm.« Louise lächelte und griff nach ihrem Buch. »Schopenhauer schreibt über die Ehe. Er sagt, heiraten ist so, als würde man blindlings in einen Sack Schlangen greifen und hoffen, einen Aal zu finden.«
    »Tatsächlich?« Cora warf einen missbilligenden Blick auf das Buch.
    »Eigentlich«, fuhr Louise fort und ließ das Buch wieder sinken, »glaube ich, dass ich eines Tages gern heiraten möchte. Ich will bloß keine Kinder haben.«
    Cora hätte beinahe über die Naivität des Mädchens gelacht. Sie wusste noch nichts über Babys und dass sie einer Ehe entsprangen, gewollt oder nicht. Aber als sie in Louises Augen sah, wurde ihr klar, dass das, worauf das Mädchen hinauswollte, ganz und gar nicht unschuldig war. Cora sah aus dem Fenster, betrachtete den Himmel und täuschte Interesse an einer bläulich getönten Wolke vor. Etwas anderes fiel ihr nicht ein. Erst vor wenigen Monaten war Margaret Sanger verhaftet worden, weil sie in aller Öffentlichkeit die Frage gestellt hatte, ob Geburtenkontrolle moralisch war. Man bezeichnete sie als obszön. Und das war in New York passiert, wenn Cora sich recht erinnerte. Auf jeden Fall hatte sie nicht vor, eine ähnliche Diskussion in einem Zug in Kansas zu führen, mit wem auch immer, schönen Dank!
    Schon gar nicht mit einer Halbwüchsigen.
    Als der Schaffner Kansas City, Missouri, ankündigte, blickte Louise von ihrem Buch auf und machte im Sitzen einen kleinen Freudenhüpfer. »Das heißt, dass wir die Bundesgrenze überquert haben.« Sie sah Cora an, hob den Blick zu der gewölbten Waggondecke und faltete mit theatralischer Geste die Hände wie zum Gebet. »Ich bin raus aus Kansas! Danke, lieber Gott! Ich habe es tatsächlich geschafft!«
    Cora schaute aus dem Fenster. Wie der Bahnhof von Wichita war auch die Kansas City Union Station gewachsen, genauso schön, aber zwei, wenn nicht drei Mal so groß. So würde es weitergehen, dachte sie bei sich. Je weiter sie sich langsam, aber sicher gen Osten bewegten, desto größer würde alles werden.
    »Sind Sie schon einmal außerhalb des Bundesstaates gewesen?« Louise warf ihr einen freundlichen, fragenden Blick zu.
    »Nein.« Cora lehnte sich zurück. »Ich bin in Kansas herumgereist, aber das ist alles.« Sie strich über ihr Haar und steckte eine Hutnadel fest, um nicht zu sehen, wie Louise reagierte. Sie wusste es ohnehin. Sie konnte sich den Ausdruck von Enttäuschung, sogar Geringschätzigkeit vorstellen. Coras offenes Geständnis, in welch engen Bahnen ihr Leben verlief, war mit Sicherheit ein noch größeres Verbrechen als ihre Unkenntnis der Denishawn Company.
    Die Wahrheit hätte vielleicht für sie gesprochen und das Mädchen beeindruckt. Aber die vertraute Lüge war ihr leicht über die Lippen gegangen. Sie hatte sie schon so oft erzählt, dass sie wahr schien, selbst jetzt, als das stetige Rattern der Räder auf den Schienen Erinnerungen weckte. Auf ihrer anderen langen Reise war sie noch ein Kind gewesen, unterwegs mit anderen Kindern, aber trotzdem allein. Damals war es Richtung Westen gegangen statt nach Osten. Sie hatte Hunger gehabt. Ihr Sitz, erinnerte sie sich, war aus hartem Holz gewesen, die Nächte lang und pechschwarz. Aber die Geräusche waren die gleichen, das

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