Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
Vom Netzwerk:
bleibe nicht lange weg.«
    »Wenn du wirklich Hunger hast, ziehe ich meine Schuhe wieder an und gehe mit dir nach unten. Ich habe auf dem Weg hierher eine Imbissstube gesehen, die noch geöffnet hatte. In diesem Block, glaube ich. Morgen können wir ein paar Lebensmittel einkaufen gehen.«
    Louise schnalzte mit der Zunge und starrte an die Decke. »Das ist so blöd! Ich will doch nur ein bisschen spazieren gehen. Wozu brauche ich eine Begleitung?«
    Auch Cora starrte an die Decke. In der Mitte befand sich ein großer Wasserfleck, der die Form eines Hasenkopfes hatte. »Zu deinem Schutz.«
    »Wovor?«
    Es war enervierend. Sie hatten das alles schon einmal durchgekaut. Cora schüttelte den Kopf. Sie würde es Louise nicht mehr durchgehen lassen, die Dumme zu spielen und alberne Fragen zu stellen, um entweder über die Antworten zu lachen oder mit neuen Fragen zu kontern.
    »Schutz wovor, Cora? Davor, was jemand in Wichita von mir denken könnte? Das Gerede der Freunde meines zukünftigen Ehemannes?« Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Das zählt hier nicht. Hier weiß niemand, wer ich bin.« Sie hob den Kopf, schlug die Augen auf und legte ihre Finger an ihre Wange. »Denken Sie bloß, ich kann tatsächlich ganz allein eine Straße hinuntergehen und trotzdem hoffen, eines Tages zu heiraten!«
    »Willst du vergewaltigt werden?«
    Das Mädchen verstummte erschrocken. Es gab Cora eine gewisse Genugtuung, dass es ihr endlich gelungen war, Louise zu schockieren, nicht umgekehrt. Immer noch an den Türrahmen gelehnt, bog sie ihre Füße und Zehen durch und spürte durch ihre Strümpfe hindurch die kühlen Bodenkacheln.
    »Du scheinst Offenheit zu schätzen, Louise. Deshalb werde ich auch offen mit dir sein. Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe. Aber ja, das ist einer von vielen guten Gründen, warum ich dich abends in einer fremden Stadt nicht allein ausgehen lassen kann, schon gar nicht in Kleidern wie diesen.«
    Louise sah auf ihre Bluse hinunter und strich mit den Fingern über den Kragen. Sie zog einen Flunsch wie ein trotziges Kleinkind.
    »Und dann wäre da noch deine Neigung, dich mit Männern anzufreunden, die du überhaupt nicht kennst. Dich von ihnen einladen zu lassen, damit sie dich anhimmeln können. Du bist nicht gerade wählerisch.« Cora hob ihre Reisetasche vom Bett, öffnete sie und nahm ihr langes Baumwollnachthemd heraus. »Ehrlich gesagt, wenn dir etwas zustoßen würde, etwas wirklich Schlimmes, könnte ich schwerlich behaupten, dass du nicht zumindest zum Teil selbst daran schuld bist.«
    Unten auf der Straße grölten Frauen- und Männerstimmen Oh the Bowery! The Bowery! I’ll never go there any more! Ein Mann brüllte etwas Unverständliches, und das Lachen einer Frau verschmolz mit dem stetigen Rauschen des Verkehrs.
    »Na schön«, sagte Louise ruhig. Sie sah Cora unverwandt an, als wollte sie sich ihr Gesicht genau einprägen. »Ich bleibe hier.«
    Cora nickte. Sie wollte kein Zuchtmeister sein. Aber anscheinend ging es nicht anders, wenn sie das Mädchen zur Vernunft bringen wollte. »Wie gesagt, wenn du gern nach unten gehen möchtest, um etwas zu essen, kann ich …«
    »Ich bin nicht hungrig.« Sie wandte sich ab. »Nehmen Sie ruhig Ihr Bad. Keine Angst. Ich bleibe hier.«
    Es war ein herrliches Gefühl, sich auszuziehen, ihren Bauch und ihre Hüften vom Korsett, ihre Beine von Strümpfen und Strumpfhaltern und ihr Haar von den Nadeln zu befreien und ins dampfende Wasser zu steigen. Aber sie musste sich eingestehen, dass es vor allem eine Erleichterung war, Louise zu entkommen, auch wenn sie nur eine geschlossene Tür trennte. Das gekränkte Schmollen des Mädchens gefiel Cora noch weniger als ihr Widerspruch und Spott. Wenn sie tatsächlich verletzt war, war sie selbst schuld. Keiner von Coras Söhnen hatte je so respektlos mit ihr gesprochen; wenn sie mit ihren und Alans Regeln nicht einverstanden waren, nahmen sie es schweigend hin wie die anständigen jungen Männer, die sie waren. Auf keinen Fall versuchten sie, ihre Mutter mit ständigen Gegenargumenten und dramatischen Stimmungsumschwüngen zu zermürben. Sie dachte an Myra und die Tanzlehrerin in Wichita. Beide hatten Louise abgeschoben. Allmählich wurde ihr klar, warum.
    Sie ließ sich tiefer ins Wasser sinken, bis ihr nasses Haar schwer auf ihren Schultern lag. Sollte das Mädchen ruhig schmollen. Cora brauchte eine Ruhepause, um nachzudenken und sich zu vergegenwärtigen, wo sie sich befand. Heute im Taxi war sie

Weitere Kostenlose Bücher