Das Schmetterlingsmädchen - Roman
Hut zurecht, um ihr Gesicht vor der Sonne zu schützen. Sie war nicht beunruhigt – nach Louises Reaktion zu urteilen, hatte der junge Mann keine Chance. »Du hast keinen Akzent.«
Louise verdrehte die Augen. »Sie merken es nicht, weil Sie genauso sprechen. Wir können uns selbst nicht hören. Wir klingen wie Provinzler und wissen es nicht einmal.« Sie runzelte die Stirn. »Ich sollte mich bei ihm bedanken.« Sie sprach langsam und akzentuiert. »Er hat mir einen Gefallen getan.«
Außerdem hatte er ihnen einen guten Stadtplan gezeichnet. Selbst in der drückenden Hitze des Morgens hatten sie keine Mühe, die Kirche zu finden, in der Louises Unterricht stattfand. Zu Coras Erleichterung schickte man sie ins Untergeschoss – schon auf der Treppe fühlte sich die Luft kühler auf ihrer schweißnassen Haut an, obwohl unten ein leicht modriger Geruch wahrzunehmen war. Gedämpfte Klaviermusik – ein Walzer – war zu hören, die lauter wurde, als sie eine Tür öffneten und einen großen, niedrigen, fensterlosen Raum mit einer verspiegelten Wand betraten. Ungefähr zwanzig junge Frauen und vier junge Männer, alle barfuß und in ärmellosen Gymnastikanzügen, dehnten und streckten nackte Arme und Beine an taillenhohen Holzstangen, die entlang der Wände verliefen. Das Klavier wurde von einer bebrillten Frau gespielt, die finster auf ein Notenblatt starrte.
»Ich gehe mich umziehen«, sagte Louise, wobei sie wieder jedes Wort klar und deutlich aussprach, und zeigte auf eine rote Tür, aus der einige junge Frauen herauskamen. Cora nickte und lächelte. Sie wollte etwas Aufmunterndes sagen, etwas Freundliches, vielleicht, dass Louise nicht nervös sein musste. Aber das Mädchen schien nicht nervös zu sein. Sie wirkte völlig gelassen und machte nicht den Eindruck, dass sie irgendeine Form von Ermutigung brauchte. Cora sah ihr nach. Dasselbe taten ein paar der jungen Tänzer.
Nach einer zwanzigminütigen Aufwärmphase, geleitet von einer gelenkigen Frau mit rotem Bubikopf, die auf Französisch Anweisungen gab, welche alle Schüler zu kennen schienen, wusste Cora, die in einer Ecke auf einem Metallstuhl saß, warum Louise nicht unruhig gewesen war. Sie war eine gute Tänzerin. Ihre Beine waren kürzer und ein bisschen molliger als die der meisten anderen Tänzerinnen, aber trotzdem landete sie nach Sprüngen anmutiger und konnte eine Stellung länger halten, ohne zu zittern. Sie war gut. Im Allgemeinen schien sie sich leichtfüßiger als irgendjemand sonst zu bewegen, einschließlich der Lehrerin. Cora verstand nicht viel von Tanz, aber ein großer Mann und eine Frau mit Turban, die neben dem Spiegel standen und gelegentlich leise miteinander redeten und den unbestimmbaren Eindruck von Autorität vermittelten, schienen Louise ebenfalls zur Kenntnis zu nehmen. Als sie vor dem Rest der Klasse einen Sprung vorführte, blickte die Frau mit Turban zu dem Mann auf und nickte.
Als die Frau mit Turban ihre Hand hob, verstummte das Klavier. Die Tänzer erstarrten. Trotz der relativ kühlen Luft im Keller schwitzten alle, sogar Louise, und die Rücken und Vorderteile sämtlicher schwarzer Wollanzüge waren schweißnass. Aber abgesehen von dem schweren Atmen einiger Schüler waren sie absolut still, und jeder Einzelne von ihnen sah das Paar ehrfürchtig an. Als die Frau mit Turban sie aufforderte, sich zu setzen, ließen sie sich direkt auf dem Hartholzboden nieder.
»Willkommen bei Denishawn. Ich bin Ruth St. Denis.«
Cora konnte nur Vermutungen anstellen, was der Junge in der Imbissbude aus Ruth St. Denis’ Akzent gemacht hätte. Sie klang nicht fremdartig, aber sie sprach mit dramatischem Ausdruck und betonte jedes einzelne Wort.
Sie streckte beide Hände aus und lächelte. »Nennt mich bitte Miss Ruth.«
Sie trug ein ärmelloses, knöchellanges Kleid in Tiefrot und hatte einen seidenen braunen Schal um die Hüften gebunden. Wie die Tänzer war auch sie barfuß. Die wenigen Haarsträhnen, die unter dem Turban hervorlugten, waren schneeweiß, aber ihr Gesicht sah nicht älter aus als Coras. Ihre Augenbrauen waren zu dünnen Halbmonden gezupft.
»Und das« – sie verbeugte sich leicht und streckte einen sehnigen Arm nach rechts – »ist mein Ehemann und Partner Ted Shawn.«
Der Mann lächelte die Schüler an. Er trug ein kragenloses weißes Hemd und weiße Flanellhosen und war ebenfalls barfuß. Obwohl er entspannt und gelassen wirkte, war seine Haltung perfekt.
»Ihr könnt mich Papa Shawn nennen«, sagte er ohne
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