Das Schmetterlingsmädchen - Roman
dehnte sich lang und düster vor ihr aus. Sie würde nie wieder glücklich sein.
»Denk noch mal darüber nach«, sagte er. Er vergrub seine Hände in seinem Haar und zog sie so fest nach hinten, dass seine geröteten Augen wie bei einem Fisch hervortraten. »Wenn du die Scheidung willst, kannst du sie haben. Das versteht sich von selbst. Du hast mich in der Hand. Aber frag dich, ob es all den Kummer für die Jungs, für uns alle, wert ist.«
In diesem Moment kam ihr der Gedanke, dass er all das, auch diese kleine Rede, einstudiert hatte wie ein Plädoyer vor Geschworenen. Er hatte im Voraus seine Pluspunkte – rational wie emotional – aufgelistet. Und sie war immer noch benommen und überwältigt. Sie hatte keine Chance.
»Cora, ich werde dir den Rest deines Lebens geben, was du dir nur wünschst. Frag dich, ob es dir wirklich an etwas fehlt. Du kannst keine Kinder mehr bekommen. Du hast die Jungs. Du hast meine Liebe und Hingabe, wie du sie immer gehabt hast.«
»Woran es mir fehlt?« Sie stellte die Frage empört und fand trotzdem keine Antwort. Sie wusste nur, dass sie ihn hasste. Sie hasste ihn wirklich. Sie langte hinter sich und warf ein Kissen nach ihm. Dann noch eines. Sie suchte nach einem härteren Gegenstand, aber da war nur die schöne Lampe, die ihr so gut gefiel.
»Hast du mich mit irgendeiner Krankheit angesteckt?«, fragte sie. »Habe ich von dieser widerlichen Sache, die du machst, eine Krankheit bekommen? Gib mir eine ehrliche Antwort! Bin ich deshalb fast gestorben?«
Endlich geriet auch er aus der Fassung. »Was? Nein, Cora. Nichts dergleichen. Was passiert ist, hatte seine Ursache in dir. Das hat der Arzt gesagt. Es hatte nichts mit mir zu tun. Das schwöre ich.«
Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen.
»Cora.«
»Du hast dir gewünscht, dass ich sterbe«, sagte sie. »Dann hättest du den untröstlichen Witwer spielen können. All das Mitgefühl für den Verlust einer Ehefrau, die du nie geliebt hast.«
»Wenn ich deinen Tod wollte, hätte ich darauf bestanden, mehr Kinder zu bekommen.«
Die Grausamkeit seiner Worte erschütterte sie, aber als sie ihn ansah, wirkte er bloß müde. Er kam auf sie zu und machte Anstalten, sich zu ihr zu setzen, aber sie zuckte zurück und forderte ihn auf, ihr Zimmer zu verlassen und kein Wort mehr zu sagen. Er hatte seinen Fall bereits dargelegt: Sie hatte im Austausch für sehr wenig sehr viel bekommen. Sie hatte alles, was sich eine Frau wünschen konnte, bis auf weitere Kinder, und das war nicht seine Schuld. Vielleicht sollte sie nicht wütend sein, sondern dankbar.
Alan, der sie nicht noch mehr aufregen wollte, beugte sich ihrem Wunsch und ließ sie mit der Entscheidung allein.
12
Cora hatte erst zweimal leise geklopft, als der Deutsche schon die Tür öffnete. Sie wandte den Blick ab, als sie Hallo sagte. Sie war immer noch verlegen.
»Sie sind pünktlich«, sagte er und trat beiseite. Auf dem Latz seiner Arbeitshose war ein dunkler Ölfleck.
Sie nickte, ging an ihm vorbei in die Diele und spähte den langen Flur hinunter zu der hellen Küche. Keine Nonne in Sicht. Oben hörte sie den Gesang der Mädchen, nahezu vollständig übertönt von dem verstimmten Klavier.
Er schloss die Tür und forderte sie mit einer Handbewegung auf, ihm den Flur hinunter zu folgen, vorbei an der geschlossenen Tür von Schwester Delores’ Büro. Vor der zweiten Tür blieb er stehen. Sie wartete und starrte auf das schüttere Haar auf seinem Hinterkopf, der sich genau in ihrer Augenhöhe befand, während er den richtigen Schlüssel an seinem Bund suchte. Das ganze Wochenende über hatte sie sich ermahnt, sich keine allzu großen Hoffnungen zu machen, nicht zu viel zu erwarten. Aber jetzt war sie hier, und der Deutsche wollte sie wirklich in das Zimmer lassen, genau wie er gesagt hatte. Vielleicht kam sie in weniger als einer halben Stunde aus diesem Zimmer und kannte ihren Nachnamen oder den Namen ihrer Mutter oder den ihres Vaters.
Vielleicht aber auch nicht. Sie nahm ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und tupfte ihren Haaransatz ab. Der Teil in ihrem Inneren, der Enttäuschungen kannte, warnte sie eindringlich. Möglicherweise gab es nicht einmal eine Akte über sie, und wenn doch, half sie ihr vielleicht nicht weiter. Möglicherweise würde sie trotz all ihrer Bemühungen nach Wichita zurückfahren und nicht mehr wissen als jetzt. Und dann? Sie würde weitermachen wie bisher, was sonst? Sie würde sich mit den Tatsachen abfinden und ihr altes Leben
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